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Liebes LGL...

Martin Rücker

Eine öffentliche Recherche

Keine Auskunft auf eine journalistische Anfrage, dafür plötzlich eine öffentliche Pressemitteilung über den eigenen »Erfolg«: Beim Listerien-Skandal in Bayern agieren das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) und das übergeordnete Staatsministerium mit ungewöhnlichen Methoden. Zeit für eine öffentliche Recherche.

4. Juli 2022

Dieser Text hat eine Vorgeschichte: Am Donnerstag, den 30. Juni 2022, schickte ich um 15:21 Uhr eine erste Anfrage zum Listeriose-Ausbruch Ypsilon1a (dessen Bezeichnung mir erst am Folgetag bekannt war) an das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (STMUV). Es folgten eine Anfrage an das Robert Koch-Institut und, um 15:47 Uhr, an das bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). Ich wusste zu diesem Zeitpunkt von dem Listerien-Skandal und dass der mutmaßlich verantwortliche Gemüsebetrieb ausfindig gemacht war – unbekannt war mir, ob der Ausbruch noch „aktiv“ war, ob sich Listerien-belastete Lebensmittel im Umlauf befanden. Ich bat bei LGL und STMUV daher um eine kurzfristige Rückmeldung auf die in dieser Zeit beantwortbaren Fragen bis Freitag, 1. Juli, 13 Uhr.


Während mir das RKI noch am Freitag Auskunft gab, antworteten die bayerischen Behörden nicht innerhalb der Frist. Sie schickten auch keine Zwischennachricht, etwa mit dem Hinweis, dass sich die Beantwortung verzögern würde. Auf telefonische Nachfrage war von den Pressesprecher:innen niemand zu sprechen. Meine Rückrufbitten blieben unbeantwortet.


Eine Pressemitteilung, die überrascht...


Die „Antwort“ folgte dann im Verlauf des Freitagnachmittags: in Form einer breit veröffentlichten Pressemitteilung des LGL, die den Listeriose-Fall öffentlich machte und einen Teil der von mir gestellten Fragen beantwortet (andere sind bis heute offen).


Einen „Erfolg bei Listerien-Ausbruchsermittlung“ reklamiert das Landesamt für sich in der Überschrift der Meldung, die zu einem äußerst ungewöhnlichen Zeitpunkt (Freitagnachmittag) ohne erkennbaren Anlass veröffentlicht wurde (die Schließung des als Infektionsquelle verdächtigten Betriebes durch das Landratsamt Passau war bereits eine Woche zuvor erfolgt) – und über die selbst das namentlich erwähnte Landratsamt in Passau nach dessen Auskunft erst nach der Veröffentlichung erfahren hatte.


In einem Telefonat mit Pressesprecher:in beim LGL (da ich die Weisungslage nicht kenne, verzichte ich hier auf Namensnennung), das ich nach vielen Versuchen am Montagnachmittag, 4. Juli 2022, schließlich führen konnte, war mein:e Gesprächspartner:in lediglich dazu bereit, Fragen zu notieren, aber keine Auskunft zu erteilen. Auf meine Rückfrage, ob ich mit einer Rückmeldung an mich rechnen könne oder ob die Informationen in einer neuerlichen Presseinformation veröffentlicht würden, sagte mir die LGL-Ansprechperson: „Das weiß ich nicht.“


Das STMUV hat bis dahin keine Frage inhaltlich beantwortet und nachträglich lediglich ein allgemeines Statement eines Sprechers ohne größeren Bezug zu den gestellten Fragen übermittelt.


Einen solchen Umgang mit einer journalistischen Anfrage habe ich noch nicht erlebt. Ich muss wohl davon auszugehen, dass STMUV und LGL die üblichen Spielregeln im Umgang von Behörden und deren Pressestellen mit Journalist:innen nicht anerkennen wollen.


Ein voller »Erfolg«? – Erstmal aufklären!


In der Tat ist es ein „Erfolg“, dass der mutmaßlich für einen folgenschweren Listerien-Ausbruch verantwortliche Betrieb nunmehr identifiziert werden konnte. Doch: Dies geschah 2022 und damit sieben Jahre nach Auftreten der ersten Erkrankungsfälle. Identifiziert wurde ein Betrieb, der offenbar bereits mehrfach mit Hygienemängeln auffällig geworden war und dennoch bis Mitte 2022 Lebensmittel produzierte. Allein diese Umstände werfen noch zahlreiche Fragen auf, die in der kurzen Mitteilung des LGL nicht im Ansatz beantwortet sind. Ihre Beantwortung ist erforderlich, bevor ein Urteil darüber möglich ist, ob die Arbeit der Behörden insgesamt als „Erfolg“ zu betrachten ist oder ob es auch bei ihnen Versäumnisse gab.


Um die öffentliche Aufklärung des Listeriose-Ausbruchs Ypsilon1a voranzubringen und in Anbetracht der bisherigen Auskunftsbereitschaft der bayerischen Behörden werde ich an dieser Stelle meinerseits die Fragen an STMUV und LGL öffentlich machen, so dass für Interessierte nachvollziehbar ist, inwieweit Ministerium und Landesamt ihrer Verantwortung zur Information der Öffentlichkeit nachkommen.


Fragen an das LGL:


  1. Wann und wo genau (z.B. in welcher Art von Einrichtung) wurden die zum Cluster Ypsilon 1a gezählten Listeriose-Fälle bei den 13 Infizierten seit 2015 festgestellt?
  2. Seit wann war ein wiederkehrendes Muster (z.B. Infektion in Pflegeheimen) bekannt, dem bei der Untersuchung der jeweils neu auftretenden Fälle nachgegangen wurde? Weshalb führte ein solches Muster bis 2022 noch nicht zur Identifikation des mutmaßlich verantwortlichen Lebensmittelherstellers?
  3. Nach meinen Informationen wurde ein jüngster Infektionsfall Anfang Januar 2022 festgestellt. Konnte dieser erfolgreich therapiert werden? Weshalb ist der Hinweis auf mindestens einen aktuellen Fall, sollten diese Informationen zutreffen, nicht in der initialen Pressemitteilung des LGL erwähnt?
  4. Wurden in allen 13 Erkrankungsfällen Humanisolate sequenziert und wenn ja, wann?
  5. Werden in Bayern grundsätzlich alle Humanisolate sowie alle Lebensmittelisolate sequenziert und erfolgt grundsätzlich ein Abgleich der Sequenzen von Human- und Lebensmittelisolaten?
  6. Von welchen Zeitpunkten sind dem LGL Listeriennachweise aus Umfeld- oder Produktproben des nun verdächtigten Gemüsebetriebs im Landkreis Passau bekannt, ob aus amtlichen Proben oder Eigenkontrollen?
  7. Zu welchen Zeitpunkten wurden Bakterienisolate aus Produkt- oder Umfeldproben aus dem verdächtigten Betrieb sequenziert? Wurde ein Abgleich der Genomsequenzen mit jenen von Humanisolaten vorgenommen und wenn ja, wann?
  8. Der als Ursache des Ausbruchs verdächtigte Betrieb im Landkreis Passau wurde am 24. Juni 2022 durch das dortige Landratsamt geschlossen. Was gab den Anlass dazu, (erst) eine Woche später darüber per Pressemitteilung zu informieren, warum an einem Freitagnachmittag (1. Juli) und zu welchem Zeitpunkt wurde von wem die Entscheidung getroffen, zu diesem Zeitpunkt die Mitteilung zu versenden?
  9. Zu welchem Zeitpunkt seit der Identifikation des mutmaßlich ursächlichen Betriebes haben Sie die ersten Presseanfragen zum Listeriose-Ausbruch Ypsilon1a erreicht?
  10. Weshalb hatte das darin namentlich erwähnte Landratsamt in Passau nach eigener Aussage vorab keine Kenntnis vom Versand der Pressemitteilung?



Fragen an das STMUV als oberste Lebensmittelbehörde Bayerns:


  1. Wie viele planmäßige Betriebskontrollen in Lebensmittelunternehmen hätten gemäß AVV RÜb im Jahr 2021 in Bayern durchgeführt werden müssen und wie viele wurden tatsächlich durchgeführt?
  2. Welche Kenntnis hat das STMUV über die Soll-Erfüllungsquote bei den Plankontrollen des Landkreises Passau im Jahr 2021?
  3. In dem als Quelle des Listeriose-Ausbruchs verdächtigten Gemüsebetrieb im Landkreis Passau sollen wiederholt Hygienemängel festgestellt worden sein. Wann hat das STMUV als oberste Lebensmittelbehörde von welchen Verstößen Kenntnis erhalten?
  4. Welche Anordnungen und sonstige behördliche Maßnahmen wie z.B. Bußgelder gegen den Betrieb sind dem STMUV bekannt?
  5. In welche Risikoklasse gemäß AVV RÜb war der Betrieb im Landkreis Passau seit 2015 jeweils eingestuft?
  6. Wurden die für diese Risikoklasse gemäß AVV RÜb vorgesehenen Plankontrollen in dem Betrieb vollständig durchgeführt? Falls nicht, wie viele Plankontrollen wurden seit 2015 in jedem Jahr in dem Betrieb durchgeführt?
  7. Der Betrieb wurde bereits im Februar aufgrund von Hygienemängeln vorübergehend geschlossen und dürfte die Produktion später wieder aufnehmen. Wie bewertet es das STMUV, dass die Kontrollbehörde in diesem Zusammenhang keine Listerienbeprobung durchgeführt hat?
  8. Im April 2022 wurde bekannt, dass Behörden in Hessen einen Obst- und Gemüse-Schneidebetrieb als mutmaßlichen Verursacher eines anderen Listeriose-Ausbruchs identifizieren konnten, also einen ähnlichen Betrieb wie jener im Landkreis Passau. Wie bewertet es das Ministerium, dass offenbar auch nach Bekanntwerden des hessischen Ausbruchs bei gleichzeitiger Kenntnis über einen seit 2015 aktiven Ausbruch in Bayern und bekannten Hygienemängeln in einem ähnlichen Betrieb dort keine amtliche Listerienbeprobung vorgenommen wurde?
  9. Hat das STMUV gegenüber dem LGL Weisungen in Bezug auf die Pressekommunikation zu diesem Fall ausgesprochen oder auf anderem Wege Entscheidungen im Zusammenhang mit der Pressekommunikation des LGL getroffen? Falls ja, welche?
  10. Wie bewertet das STMUV das Eigenkontrollsystem des Betriebes in den vergangenen Jahren? Sah dieses Umfeld- und Produktproben zur Analyse auf Listerien vor, wie sie nach den einschlägigen EU-Verordnungen zwingend vorgeschrieben sind? In welchen Abständen fanden solche Eigenuntersuchungen statt? 
  11. Wurde die Durchführung von Eigenkontrollen durch das Unternehmen von der Kontrollbehörde nach Kenntnis des STMUV überprüft?
  12. Von welchen positiven Listeriennachweisen (Umfeld/Produkte, jeweils mit Datum) aus dem Betrieb hat das STMUV zu welchem Zeitpunkt Kenntnis erhalten? Welche der Isolate wurden sequenziert?
  13. Spricht sich das STMUV für eine Einrichtung einer Datenbank aus, mit der die Sequenzen von Humanisolaten sowie die Sequenzen der Isolate von Produkt- und Umfeldproben kontinuierlich bundesweit abgeglichen werden können?


Nachtrag 5. Juli 2022: In einer direkten E-Mail an mich (!) hat das LGL eineinhalb der hier genannten Fragen bereits beantwortet. Demnach bestätigt das Amt den Erkrankungsfall von Anfang 2022; die betroffene Person sei mittlerweile verstoben, jedoch an einer anderen Ursache und nicht an Listeriose. Außerdem schlüsselte das LGL die Erkrankungsfälle des Ausbruchs Ypsilon 1a wie folgt auf:


Jahr Monat LK / SK
2015 5 LK Rottal-Inn
2015 6 LK Altötting
2016 10 LK Deggendorf
2017 10 LK Rottal
2017 11 LK Passau
2018 11 LK Altötting
2019 11 SK Passau
2020 3 LK Passau
2021 4 LK Dingolfing-Landau
2021 8 LK Straubing-Bogen
2021 9 LK Altötting
2021 11 LK Passau
2022 1 LK Freyung-Grafenau


Daraus folgt, dass der Ausbruch seit 2015 praktisch durchgängig aktiv war. Unklar ist vor allem noch, in welchem Zeitraum Hygienemängel in dem Betrieb bekannt wurden, wie engmaschig dort Proben auf Listerien untersucht wurden und ob in den Jahren das Mögliche getan wurde, um Ausbruchsgeschehen und Betrieb zusammenzubringen.


Foto: LGL.


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