15. Juli 2023
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Es ging um toxikologische Tests an mehr als 13.000 Ratten. Auf verschiedenen Wegen wollte ein Pharmaunternehmen die Nager neuen Wirkstoffen aussetzen: oral, subkutan, intravenös. Im vergangenen Jahr beantragte die Firma die Genehmigung dafür beim Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo).
Tierversuche sind gesetzlich genau geregelt, sie müssen ethisch vertretbar und unerlässlich sein. Das bedeutet: Es darf keine Alternativen zu den Experimenten an lebenden Tieren geben, die Eingriffe müssen so mild und an so wenigen Individuen wie möglich erfolgen, die Forschung muss einen Nutzen für Mensch oder Umwelt erwarten lassen. Forscher müssen dies in ihren Anträgen begründen. Um die Angaben zu prüfen, bezieht das LaGeSo eine der beiden Berliner Tierschutzkommissionen mit ein, ehrenamtliche Gremien aus Wissenschaftlern und Tierschützern.
Alle vier Wochen kommen die Kommissionen zusammen, im Jahr beraten sie über mehr als 100 Anträge. Vor einigen Monaten auch über das Vorhaben mit den 13.000 Ratten. Auf Dutzenden von Seiten ist ein solcher Versuch begründet, doch den meisten Platz füllten Allgemeinplätze und Worthülsen. Generell gehe es bei der Entwicklung eines Arzneimittels um die Bereiche Forschung und Entwicklung, solche Aussagen.
Was nicht auf den Seiten stand: Welche Substanzen werden getestet? Wie stark wird das die Tiere belasten? Gegen welche Krankheit soll der Wirkstoff helfen? Was ist sein Vorteil gegenüber längst zugelassenen Wirkstoffen? Wie so häufig, hatte die Kommission wieder nur einen sogenannten „Rahmenantrag“ auf den Tisch bekommen – einen Antrag, der herzlich wenig vom konkreten Versuch verrät. Und damit davon, was für eine Genehmigung maßgeblich ist. „Die wollen sich nicht festlegen“, ärgert sich ein Kommissionsmitglied über die Antragsteller. Der Eindruck: Mit möglichst spärlichen Angaben soll eine generelle Genehmigung erzielt werden, um dann „unbegrenzte Freiheit zu haben“. Am Ende meldeten die Experten dem LaGeSo ihrer Bedenken. Die Behörde aber stimmte dem Versuch zu.
Vieles bei den Genehmigungsverfahren für Tierversuche läuft anders, als es sollte, das zeigt diese Recherche. Sie handelt von Kommissionen, die Tierversuche prüfen sollen, ohne die nötigen Informationen dafür zu bekommen. Von Wissenschaftlern, die an der Genehmigung von Versuchen ihres eigenen Arbeitgebers mitwirken. Von Behörden, die sich über Bedenken einfach hinwegsetzen. Und von Tierärzten, die untereinander Tricks austauschen, wie sie die Tötung überschüssiger Versuchstiere begründen können.
Rund 1,86 Millionen Tiere setzten Forscher im Jahr 2021 bundesweit in Versuchen ein. Am häufigsten Mäuse (72 Prozent), mit großem Abstand folgen Zebrafische und Ratten. Der Forschungsstandort Berlin ist vor allem mit dem Max-Delbrück Center und der Charité gut vertreten, die für 2022 Versuche an jeweils mehr als 50.000 Tieren meldeten. Dazu kommen Pharmafirmen und Forschungsdienstleister. Insgesamt genehmigte das LaGeSo 2022 die Verwendung von 333.558 Tieren und von 75.546 Tieren im laufenden Jahr bis Anfang Juni – für Projekte teils über mehrere Jahre.
Tierversuche sind hoch umstritten. Die einen betrachten sie als unverzichtbar für die Forschung, als Voraussetzung für medizinischen Fortschritt, und in der Arzneimittelentwicklung sind sie vorgeschrieben. Andere lehnen radikal ab oder halten zumindest viele Experimente für unnötig. Doch niemand muss Gegner von Tierversuchen sein, um sich über die Abläufe bei der Genehmigung zu wundern. Das beginnt mit den Tierversuchskommissionen. „Die haben reine Feigenblattfunktion“, meint eine Person, die selbst in einer der Berliner Kommissionen sitzt.
Das Tierschutzgesetz schreibt vor, dass solche Gremien bundesweit die Genehmigungsbehörden beraten. Die dürfen sich zwar über das Votum hinwegsetzen, was der Gesetzgeber wohl eher als Ausnahme vorgesehen hat. Neben Wissenschaftlern müssen die Behörden auch Tierschützer in die Kommissionen berufen, vorgeschlagen von Tierschutzorganisationen. Sie müssen, so will es das Gesetz, mindestens ein Drittel der Mandate erhalten.
Es ist also ein genauestens geregeltes, öffentliches Verfahren. Namen allerdings erfährt die Öffentlichkeit in der Regel keine. Während es kein Problem ist herauszufinden, wer in den Gremien zur Kontrolle der Geheimdienste sitzt, wird die Frage, welche Personen an der Genehmigung von Tierversuchen beteiligt sind, behandelt wie ein Staatsgeheimnis.
Auf Anfrage verweigern fast alle angeschriebenen Behörden die Auskunft. „Aus Gründen des Datenschutzes“ und Sorge vor „Anfeindungen und Einschüchterungsversuchen“, erklären drei Regierungspräsidien in Baden-Württemberg. Zum „Schutz vor jeglicher Einflussnahme“, teilt die zuständige Fachbehörde in NRW mit.
Die sächsische Landesdirektion will noch nicht einmal angeben, auf Vorschlag welcher Tierschutzorganisationen Mitglieder ernannt wurden, und beruft sich auf einen Gesetzespassus, demzufolge sonst „ein überwiegendes öffentliches oder ein schutzwürdiges privates Interesse verletzt“ würde.
Bereits der Begriff „Tierschutzorganisation“ ist ziemlich dehnbar: Das Gesetz definiert ihn nicht. Das Regierungspräsidium Unterfranken etwa berief drei Kommissionsmitglieder auf Vorschlag der „GWT Gesellschaft für wissenschaftlichen Tierschutz mbH“, eines Ende 2022 liquidierten Unternehmens, in seine Kommission. Der geschäftsführende Gesellschafter der GWT, Heinz-Peter Scheuber, schlug sich offenbar selbst vor, übernahm auch gleich den Vorsitz einer Kommission – was die Behörde nicht verraten will, sein Linked-In-Profil aber freimütig ausplaudert.
Scheuber ist nicht gerade ein klassischer Tierschützer: Den Profilangaben zufolge ist er als externer Tierschutzbeauftragter einer Forschungsuniversität und eines Biotechnologieunternehmen mit Milliardenumsatz tätig, beides Institutionen mit Interesse an Tierversuchen. Einen Interessenkonflikt aber erkennt das Regierungspräsidium nicht: Tierschutzbeauftragte wie Scheuber arbeiteten nicht weisungsgebunden, heißt es.
Doch ist er die Art von Tierschützern, die in den Tierversuchskommissionen ein Gegengewicht zu den Forschungsinteressen bilden sollen? Oder sind Berufungen wie diese ein Grund dafür, weshalb sich Behörden so zugeknöpft geben?
Nicht immer haben es die Behörden leicht, überhaupt Tierschützer für ihre Kommissionen zu gewinnen. Viele etablierte Organisationen lehnen eine Beteiligung an der Genehmigung von Tierversuchen grundsätzlich ab – andere zogen sich vor einigen Jahren weitgehend zurück, nachdem Gerichte die umstrittenen Bremer Affenversuche des Hirnforschers Andreas Kreiter gegen große Bedenken durchsetzten. Vereinzelt sitzen Vertreter des Tierschutz- oder Naturschutzbundes und sogar von Versuchsgegnern in den Kommissionen. Doch es gibt eine Organisation, die die Tierschutzseite dominiert: die Tierärztliche Vereinigung Tierschutz (TVT). Manche Kritiker sprechen von einer „Vereinigung für Tierversuche“.
Die TVT genießt für ihren fachlichen Stellungnahmen unzweifelhaft hohes Ansehen, sie mischt mit in Diskussionen über die Zukunft der Tierhaltung, ist gefragt bei Politik und Verbänden. Ein weiterer Zweck des Vereins ist bereits in der Satzung verankert: die Beteiligung an Tierversuchskommissionen. Sind Positionen neu zu besetzen, fragen viele Behörden gezielt bei der TVT an.
Jene, die Auskunft erteilten, auf wessen Vorschlag sie Tierschützer in die Kommissionen beriefen, antworteten am häufigsten: TVT. Vielerorts besetzt der Verband die Mehrheit oder gleich alle Tierschutz-Sitze. Wen er dafür vorschlägt, wird nach Darstellung mehrerer TVT-Mitglieder wesentlich vom Vorstand und vom „AK 4“ bestimmt, dem Arbeitskreis „Tiere im Versuch“ des Vereins. „Das ist im Grunde eine Versammlung der Tierschutzbeauftragten der Forschungseinrichtungen, die ihr Geld mit Tierversuchen verdienen“, sagt eine Person, die einer Berliner Tierversuchskommission angehört. „Die stehen nicht für Tierschutz, sondern für freie Forschung“, meint eine weitere. Ein TVT-Mitglied spricht von Personen, die „willfährig ein positives Votum zu Tierversuchen abgeben“.
Dem AK 4 gehören den Aussagen von TVT-Mitgliedern zufolge überwiegend Tierärzte an, die beruflich in irgendeiner Form direkt oder indirekt selbst an Versuchen beteiligt sind. Ein früherer AK-Vorsitzender war dafür bekannt, seine E-Mails an die TVT-Kollegen von einer Firmenadresse aus zu verschicken, in der Signatur das Logo seines Arbeitgebers Bayer Pharma. Sein aktueller Nachfolger Rüdiger Hack – Tierschutzbeauftragter beim Arzneimittelkonzern Sanofi-Aventis – gibt an, zu den Prozessen um die Vorschläge für Tierversuchskommissionen nicht viel sagen zu können. Konkrete Fragen lässt er unbeantwortet.
Welche Personen also prüfen die Tierversuche? Anders als die meisten Behörden schickt das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) irgendwann eine Liste mit den Namen der Mitglieder seiner Kommissionen. Elf ordentliche und stellvertretende Mitglieder hat es für die Tierschutzseite berufen – ausnahmslos alle auf Vorschlag der TVT. Die meisten von ihnen arbeiten für große Forschungseinrichtungen, für ein Max-Planck-Institut, das Primatenzentrum Göttingen, das Tierlabor der Medizinischen Hochschule Hannover. Es ist ein Einblick, der die Kritiker der TVT zu bestätigen scheint: Eine „Tierschutzorganisation“, in der an Tierversuchen beteiligte Tierärzte andere an Tierversuchen beteiligte Personen berufen, die bei der Genehmigung von Tierversuchen dann ein Gegengewicht zu den an Tierversuchen beteiligten Wissenschaftlern bilden sollen?
Berlin, immerhin, geht bundesweit am transparentesten mit den Tierversuchskommissionen um: Im Internet hat das LaGeSo eine Liste zumindest der ordentlichen Mitglieder veröffentlicht. Es fehlen die Stellvertreter und Namen der Organisationen, die die Personen vorgeschlagen haben.
Auf Nachfrage legt das Amt schließlich die gesamte Liste vor. 43 ordentliche und stellvertretende Mitglieder umfasst sie, 31 von ihnen sind Wissenschaftler – 22 mit Charité-Hintergrund. Auch das wirft Fragen auf: Zwar dürfen die Kommissionsmitglieder nicht über eigene Anträge abstimmen. Dass aber Wissenschaftler über Versuche befinden, die ihre eigene Einrichtung beantragt hat, gehört nach Aussagen mehrerer Kommissionsmitglieder zum Alltag.
Von den zwölf Tierschützern kamen fünf über die TVT an ihre Ämter. Wie in Niedersachsen, sind es vorwiegend Personen mit beruflichem Hintergrund in Forschungseinrichtungen mit einem Interesse an Tierversuchen.
Insgesamt aber sind die Positionen in Berlin diverser besetzt als anderswo. Auch ausgewiesene Tierversuchskritiker und -gegner durften Mitglieder vorschlagen: die Initiative Hilfe für Labortiere, der Tierschutzverein für Berlin und Umgebung Corporation, der Verein Menschen für Tierrechte. Beste Voraussetzungen also für hitzige Debatten in den Kommissionen – doch den Berichten mehrerer Mitglieder zufolge, geht es in den Sitzungen meist wenig kontrovers zur Sache.
Weil allen klar ist, dass das LaGeSo am Ende ohnehin genehmigt?
Die Zahlen legen diesen Verdacht jedenfalls nahe. 123 Anträge auf Tierversuche hat das LaGeSo im Jahr 2022 behandelt. 118 genehmigte es, nur fünf Mal lehnte es ab oder der Antragsteller zog seinen Antrag zurück. Auch im laufenden Jahr gingen bis Anfang Juni 16 von 18 Anträgen durch – insgesamt bedeutet das: grünes Licht für 95 Prozent aller beantragten Tierversuche.
Die Voten der Tierversuchskommissionen fielen anders aus: Nur bei sechs Prozent der Anträge empfahlen sie uneingeschränkte Zustimmung, bei weiteren knapp 8 Prozent signalisierten sie „Zustimmung mit Vorbehalten“, die das LaGeSo mit dem Antragsteller noch klären sollte. Bei 85 Prozent der Anträge hingegen empfahlen die Kommissionen eine Ablehnung (16 Prozent) oder hielten zumindest wesentliche Änderungen für erforderlich („Ablehnung mit Nachfragen“, 69 Prozent der Anträge) – eine Kategorie auch für Anträge, denen wesentliche Informationen fehlten.
Einerseits darf die Behörde Anträgen auch gegen das Votum der Kommission zustimmen. Andererseits schreibt eine Verordnung vor, dass das LaGeSo immer dann eine Meldung an das Bundeslandwirtschaftsministerium machen muss, wenn die Tierversuchskommission „Bedenken“ anmeldet, ob die rechtlichen Voraussetzungen für einen Tierversuch erfüllt sind. Eine Vorgabe, die das LaGeSo eher locker interpretiert: Aus einer Antwort der Behörde geht hervor, dass sie nur die Fälle an das Bundesministerium meldet, in denen die Tierversuchskommissionen für eine „inhaltliche Ablehnung“ gestimmt haben – nicht aber jene, in denen sie Vorbehalte angemeldet oder für „Ablehnung mit Nachfragen“ gestimmt haben.
Dass die Voten der Kommissionen so kritisch ausfallen – und dass die Diskussionen nur selten hochkochen – hängt wohl auch damit zusammen, wie die Anträge die Kommissionen erreichen. Mehrere Mitglieder mit unterschiedlichen beruflichen Hintergründen berichteten über die Abläufe, ihren Namen sollen anonym bleiben.
Die Probleme beginnen demnach bei den häufiger werdenden Rahmenanträgen. Dutzende Seiten lang, manchmal mehr als 100 – aber oft wenig aussagekräftig. „Eine Katastrophe“, stöhnt ein Kommissionsmitglied. Ist der Versuch ethisch gerechtfertigt und unerlässlich? „Wir können das nicht beurteilen, in den Rahmenanträgen steht dazu nichts.“ Wie kürzlich, beim Antrag eines Forschungsdienstleisters für die Züchtung „neuer Mauslinien mittels gentechnischer Methoden“, mehr als 50.000 Tiere. Aus dem Antrag wird klar, dass es um die Erforschung von Krankheiten geht – aber nicht, um welche. Welche Defekte will das Unternehmen den Mäusen „einbauen“? Ist es wirklich nötig, neue Linien zu züchten? All das sei offen geblieben.
Vielfach müssten die Antragsteller ihre Versuche später noch in Einzelanträgen konkretisieren. Die jedoch, berichten Kommissionmitglieder, lege ihnen das LaGeSo nicht mehr vor. „Wir sollen weiße Blätter genehmigen“, sagt ein Mandatsträger. „Manchmal gibt es so viele Änderungen der Änderungen, dass wir am Ende gar nicht mehr wissen, was gemacht wird“, ergänzt ein weiterer.
Immer wieder sind es Dienstleister, die anstelle der Forschungseinrichtungen selbst die Anträge stellen. Ein weiteres Problem: Denn um das wissenschaftliche Ergebnis nicht zu beeinflussen, wissen die Auftragnehmer gar nicht, welche Substanzen im Tierversuch eingesetzt werden. Für die Forschung macht das Sinn – nur wie soll die Tierversuchskommission ihrer Aufgabe nachkommen? „Wir wissen eigentlich nicht, was im konkreten Fall passiert“, sagt einer, der das eigentlich prüfen soll.
Das sind längst nicht alle Mängel, die den Ehrenamtlichen aufstoßen. In bis zu 20 Prozent der Anträge sei nicht seriös geprüft worden, ob es Alternativen zu Tierversuchen gibt, schätzt ein Kommissionsmitglied, das aus der Forschung kommt – eigentlich ist das eine Voraussetzung für die Genehmigung. „Das wird in vielen Fällen chronisch vernachlässigt“, bestätigt eine zweite Person. Das LaGeSo erklärt auf Anfrage, keine Anträge zu genehmigen, bei denen Alternativen nicht geprüft wurden.
Nachprüfen lässt sich das nicht. Denn selbst die Tierversuchskommissionen erfahren in der Regel nicht, was das Landesamt mit all ihren Nachfragen und Vorbehalten macht. Das LaGeSo nimmt die Stellungnahmen hin – was es in der Folge mit den Antragstellern verhandelt, welche Änderungen es durchsetzt, durchläuft meistens nicht mehr die Kommissionen. Es mag also sein, dass all ihren Bedenken Rechnung getragen wurde, ein veränderter Antrag vorliegt, dem die Kommission zugestimmt hätte – es kann aber auch ganz anders laufen. „Da ist das LaGeSo Closed Shop“, beklagt ein Kommissionsmitglied. „Wenn wir einen Antrag inhaltlich ablehnen, sind das so gravierende Fälle, dass wir sagen: Das geht so gar nicht. Auch diese Anträge werden oft trotzdem genehmigt, und wir haben keine Chance einzusehen, ob die Mängel abgestellt wurden.“
Experten bezweifeln, dass solche Verfahren im Sinne der Gesetze sind. „Das ist eklatant rechtswidrig“, sagt Christoph Maisack, Vorsitzender der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht (DJGT). Der frühere Verwaltungsrichter und Staatsanwalt hält es für unzulässig, einer Tierversuchskommission wesentliche Informationen vorzuenthalten – dazu zählt er auch die Antworten auf ihre Fragen. „Das ist keine ordnungsmäßige Beteiligung der Kommissionen“, so Maisack. „Bei einem Rahmenantrag können sie nicht prüfen, ob der Tierversuch ethisch gerechtfertigt und für das Ziel der Forschung unerlässlich ist.“
Zu einer ähnlichen Bewertung kommt der Jura-Professor Sönke Gerhold. „Die Tierversuchskommissionen müssen einen vollständigen Antrag sehen – und vollständig ist er nur dann, wenn die ethische Vertretbarkeit und Unerlässlichkeit eines Versuchs geprüft werden kann“, meint der Leiter der Forschungsstelle für Tier- und Tierschutzrecht der Universität Bremen, die bei Drittmittelprojekten mit der Tierrechtsorganisation PETA zusammenarbeitet. Hat eine Kommission nicht alle nötigen Informationen erhalten, reiche es nicht aus, wenn der Antragsteller nur gegenüber der Behörde nachbessert – diese müsse die Kommission zwingend über den vollständigen Antrag in Kenntnis setzen: „Wenn die Behörde über einen unvollständigen Antrag entscheidet oder der Tierversuchskommission einen vollständigen Antrag nicht mehr vorlegt, ist die Genehmigung rechtswidrig.“
Folgen allerdings hat das praktisch nicht: Außer dem LaGeSo und dem Antragsteller kennt üblicherweise schließlich niemand die Details. Das ist mit Blick auf die Forschungsfreiheit gut begründet, für den Tierschutz kann es schwierig sein.
Wie tötet man überzählige Tiere?
An Kontrolle fehlt es offenbar auch an einer weiteren Stelle: beim Umgang mit Tieren, die den Versuch einigermaßen wohlerhalten überleben. Sie einfach zu töten, verbietet das Gesetz. Die Vermittlung der Versuchstiere an neue Besitzer gestaltet sich jedoch schwierig, und bei den Forschungseinrichtungen ist eine weitere Haltung nicht vorgesehen, schon aufgrund der Kosten.
Kirsten Tönnies zufolge – die Tierärztin aus Hessen leitet den Arbeitskreis Tierethik der TVT und war früher auch Mitglied des Arbeitskreises Tiere im Versuch – soll ein Primatenforscher seinen Kollegen in einer TVT-Sitzung vor einigen Jahren einen Rat für dieses Problem gegeben haben: Sie könnten einfach pathologische Untersuchungen an Organen mit beantragen, dafür müssen die Tiere schließlich zwingend getötet werden. Den Trick habe er flapsig formuliert: „Machste Patho!“
Auf Anfrage bestreitet der von Tönnies benannte Forscher eine solche Aussage. „Das ist sicher so falsch formuliert“, schreibt er – vielmehr könnten die Untersuchungen „häufig zusätzliche Erkenntnisse bringen, auch wenn dies von den Antragstellern eines Tierversuchs aus verschiedenen Gründen zunächst als Möglichkeit nicht in Betracht gezogen wird“.
Fest steht zumindest: Der Ratschlag „Machste Patho!“ kursiert, unter TVT-Mitglieder wie in den Tierversuchskommissionen. Mehrere Gesprächspartner bestätigen das. Und ob es darauf zurückgeht oder nicht: Ein Mitglied einer Berliner Kommission formuliert den Eindruck, dass bei etwa einem Drittel der Anträge pathologische Untersuchungen beantragt würden, bei denen er sich wundert, ob diese berechtigt sind.
Manchmal aber sind solche Tricks offenbar gar nicht nötig. In einem Antrag, den eine Berliner Kommission auf den Tisch bekam, hieß es schlicht: Alle überlebenden Tiere, die nicht bis zu einem Stichtag kurz nach Abschluss des Versuchs über eine Datenbank an neue Halter vermittelt werden könnten, würden „durch cervikale Dislokation oder CO2 getötet“. Genickbruch oder Vergasen also – ein „vernünftiger Grund“ dafür wird nicht benannt.
So ähnlich soll es auch den Überlebenden der 13.000 Ratten gehen, wenn sie die Medikamentenstudie hinter sich haben: „finale Narkose und Tötung des Tieres durch Entbluten“, lautet die Vorsehung für sie.
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Der Text erschien zuerst in der Berliner Zeitung. Bild: Ärzte gegen Tierversuche e.V.
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