Welche Erfahrungen haben andere Verbraucher mit Windeln, Cremes oder Zahnpasta gemacht? Bei dm spielen Kundenbewertungen eine wichtige Rolle. Doch ein einfacher Test zeigt: Das System der Drogeriemarktkette ist leicht zu manipulieren – allzu genau schaut das Unternehmen nicht hin.
7. Oktober 2022
Nur ein Stern oder gleich fünf? Ein kurzer Text, ein paar Angaben zur Person, ein Klick – schon hat der Internetnutzer, nennen wir ihn „Sascha“, seine Produktbewertung abgeschickt. Für die Drogeriemarktkette dm sind solche Rückmeldungen offenbar ein wichtiges Instrument. Wer eine Bewertung veröffentlicht, darf bei einer folgenden Verlosung auf Einkaufsgutscheine über 100 Euro hoffen. Und auch in der App des Konzerns sind die Kundenrezensionen eingebunden: Wer damit in einer Filiale den Barcode eines Produkts scannt, sieht, wie zufrieden andere Kunden damit waren.
Doch stammen die Bewertungen überhaupt von „Kunden“? Schon das ist ungewiss. „Wir überprüfen nicht, ob die Bewertenden die Produkte tatsächlich gekauft und/oder genutzt haben“, schreibt dm dezent über der Gesamtbewertung eines jeden Artikels.
„Sascha“ hat die Produkte, die er gerade bewertet, jedenfalls nie in den Fingern gehabt. Mit welchen Mechanismen kontrolliert dm, was echt ist und was Fake? Über die Details gibt das Unternehmen keine Auskunft. Auf Anfrage erklärt Geschäftsführer Sebastian Bayer nur: „Wir überprüfen die eingehenden Bewertungen zu Produkten auf unserer Webseite, ob diese verdächtige Merkmale enthalten. Damit diese Prüfungen nicht wissentlich umgangen werden, legen wir die Inhalte dieser Prüfungen allerdings nicht offen.“
Allzu tiefgründig können sie nicht sein – es bedarf jedenfalls keiner besonders ausgefeilten Tricks, um sie zu umgehen. „Sascha“ gelingt es spielerisch, eine Reihe falscher Produktkritiken einzustellen.
Schickt er eine Bewertung ab, erhält er eine Nachricht an die angegebene E-Mailadresse. Darin fordert dm ihn auf, seine Bewertung zu „bestätigen“, in dem er auf einen Link klickt – ein gängiges Verfahren, um die E-Mailadresse zu validieren. Nur wer tatsächlich Zugriff auf das Postfach hat, erhält auch die Nachricht und kann seine Bewertung bestätigen.
Theoretisch jedenfalls. Doch die Praxis bei dm ist eine andere. „Sascha“ beschließt, erst einmal nicht auf die Nachricht von dm zu reagieren. Eine gute Stunde später erhält er dennoch eine weitere E-Mail, mit der ihn dm informiert, dass seine Bewertung nun veröffentlicht ist. Auch ohne Bestätigung. Die Nachrichten suggerieren damit eine Vertrauenswürdigkeit, die die Technik nicht hergibt.
„Sascha“ schreibt eine neue Bewertung, und dieses Mal gibt er keine E-Mailadresse an, auf die er Zugriff hat, sondern eine Fantasieadresse mit der Endung eines verbreiteten E-Mail-Anbieters. Die Bestätigungsnachricht von dm landet also entweder im Nirwana oder bei einer fremden Person, der zufällig das ausgedachte Postfach gehört. Und nun? Rund eine halbe Stunde später ist auch diese Bewertung online.
Wie glaubwürdig die eingegebenen E-Mailadressen sind, prüft das System offenbar ebenfalls nicht oder nur oberflächlich. Bewertungen, die unter Angabe einer sogenannten „Wegwerf“-E-Mailadresse erstellt werden – eines Postfachs also, das sich nach 10 Minuten selbst zerstört – gehen ebenfalls problemlos auf die Seite.
Für Kunden sind Online-Bewertungen die „wichtigste Informationsquelle“ bei Kaufentscheidungen im Internet, vermeldete der Digitalverband Bitkom vor zwei Jahren auf Basis einer repräsentativen Umfrage. Mehr als jeder zweite las sie demnach vor dem Online-Kauf. Je jünger, desto häufiger –bei den Unter-30-Jährigen waren es sogar zwei Drittel. Und auch die Anbieter haben ein großes Interesse an der Meinung der Massen: Studien zeigen, dass Kundenbewertungen den Verkauf ankurbeln können.
Die Bedeutung dieses Instruments dürfte also eher noch zunehmen. Ein Trend, den Verbraucherschützer mit Skepsis beobachten. Auf Online-Bewertungen sei „kein Verlass“, heißt es beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) deutlich. Anfang des Jahres legte der eine Analyse von 141 Kundenbeschwerden im Zusammenhang mit Online-Bewertungen vor. Was dabei auffiel: Webshops lockten mit Gutscheinen für gute Bewertungen, sie löschten negative Rezensionen schneller als positive und in einzelnen Fällen drängten Unternehmen die Kunden sogar mir Anwaltsschreiben zur Rücknahme schlechter Kritiken. Sabrina Wagner, Digital-Expertin beim vzbv, warnt daher vor „ernsten Wettbewerbsverzerrungen“.
„Besonders kritisch“ sieht sie es, wenn die Abgabe der Bewertung mit einer Gegenleistung verbunden ist. Dann entstehe zwangsläufig der psychologische Effekt „Wer mir etwas Gutes tut, dem will ich auch etwas Gutes tun“, die Bewertungen fielen also besser aus. Für Online-Shops empfiehlt Wagner zudem ein sogenanntes „geschlossenes Bewertungssystem“, in dem nur derjenige ein Produkt bewerten kann, der er zuvor auch dort gekauft hat. Das garantiere zwar keine 100-prozentige Sicherheit, sei aber zumindest „eine wirksame Maßnahme gegen Fake-Bewertungen“.
Dass solche Maßnahmen nötig sind, hängt aus Sicht von Verbraucherschützern auch mit Agenturen zusammen, die spezialisiert als Bewertungsvermittler arbeiten – mal mehr, mal weniger seriös. Produkttester hätten demnach von Fällen berichtet, in denen sie nach eigenen Angaben dazu genötigt wurden, nur positive Rezensionen zu hinterlassen. Teils für Produkte, die sie nie ausprobiert hatten.
Wie häufig solche Fälle sind, wie viele der „Sternchen“ auf beliebten Internetseiten echt sind, dafür fehlen valide Studien. Im vergangenen Jahr taten sich einmal zahlreiche Behörden europaweit zusammen und analysierten Internetseiten auf irreführenden Kundenbewertungen hin, von Shops über Buchungsseiten bis zu Preisvergleichen. 223 Seiten testeten sie durch – bei „fast zwei Drittel“ gab es immerhin „Zweifel an der Zuverlässigkeit der Bewertungen“. Tiefer schürfen konnten sie nicht.
Fest steht: Auch ein Anbieter wie dm, der bei Verbraucherumfragen zu den vertrauenswürdigsten Marken zählt, setzt auf die von Verbraucherschützern kritisierten Fehlanreize mit „Gegenleistungen“. Dann, wenn die Drogeriemarktkette unter ihren Rezensenten Gutscheine verlost oder an Testkunden Produkte verteilt, um diese bewerten zu lassen. Der kleine Test von „Sascha“ zeigt zudem, dass selbst simple Sicherungsmechanismen im dm-Shop nicht greifen.
Ob sich unter den zahlreichen Bewertungen dort manipulierte befinden, darüber hat „Sascha“ keine Kenntnis. Was er weiß: Dass es zum Beispiel für Hersteller, deren Dienstleister oder auch Konkurrenten ein Leichtes wäre, je nach Wunsch positive oder negative Bewertungen bei dm zu platzieren.
Dieser Text erschien zuerst in der
Frankfurter Rundschau. Foto: dm-drogerie markt GmbH & Co. KG / Boris Breuer
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