In Kürze wird Agrarminister Özdemir seine Pläne für ein staatliches Tierwohl-Label vorstellen. Kritiker bemängeln: Mehr Tierschutz kann es gar nicht bringen.
3. Juni 2022
Das erste staatliche Tierwohl-Label feierte gerade seinen fünften Geburtstag: Ein Sechseck, angelehnt an das Bio-Siegel, mit schwarz-rot-goldenen Streifen und der Inschrift „Mehr Tierwohl“. Bundesagrarminister Christian Schmidt stellte es Anfang 2017 vor, es war das Prestigeprojekt des CSU-Politikers – und es scheiterte. Kein Stück Fleisch im Handel zierte das Label jemals.
Nun also ein neuer Anlauf. In den nächsten Wochen, womöglich Tagen dürfte der amtierende Minister Cem Özdemir (Grüne) seinen Vorschlag für ein Tierwohl-Kennzeichen präsentieren. In den ersten zehn Juni-Tagen soll es in die Abstimmung mit den anderen Ministerien gehen, kündigte Özdemirs Staatssekretärin Silvia Bender vor wenigen Tagen auf dem Food-Safety-Kongress der Handelsblattgruppe in Berlin an.
Einerseits sind die Voraussetzung für Özdemir besser als 2017. Schmidt scheiterte damals an der Frage, welche Kriterien für das Label gelten sollen: „Tierwohl“ ist mehr Marketingbegriff als wissenschaftlich definierte Größe. In der Fleischbranche, aber auch innerhalb der eigenen Fraktion habe er eine „frappierende Blockadehaltung“ erlebt, und die „Organisationsmacht“ aus Niedersachsen und NRW, den Stammländern der Schlachtkonzerne, habe die Initiative als Bedrohung für die Geschäftsmodelle der Massenbetriebe gehalten – so erzählte es der CSU-Politiker lange nach seinem Ausscheiden. Doch das Thema war gesetzt und nicht mehr aufzuhalten. Auch CDU-Ministerin Julia Klöckner, Schmidts direkte Nachfolgerin, versuchte sich an einem staatlichen Kennzeichen für Fleisch, und auch sie scheiterte: Während die Unionsparteien ein für die Betriebe freiwilliges Label bevorzugten, drängte die SPD auf ein verpflichtendes Modell.
Darauf immerhin haben sich die Ampelparteien bereits in ihrem Koalitionsvertrag verständigt. „Ab 2022“, heißt es darin, werde „eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung“ eingeführt. Diese soll „auch Transport und Schlachtung“ umfassen – ob diese Punkte tatsächlich in das Siegel integriert werden, ist jedoch fraglich. Denn so unterschiedlich Tiere gehalten wurden, am Ende landen sie in denselben Transport-Lkw und denselben Schlachthöfen.
Im Januar 2017 stellte der damalige Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt ein staatliches Tierwohl-Label vor – es wurde nie realisiert.
Seit 2019 kennzeichnen die großen Handelskonzerne Frischfleisch mit der Angabe der Haltungsform in vier Stufen.
Andererseits muss Özdemir damit umgehen, dass die Zeit nicht stehengeblieben ist. 2018 führte zunächst der Discounter Lidl einen „Haltungskompass“ ein, darauf aufbauend einigten sich die großen Handelskonzerne auf eine „Haltungsform-Kennzeichnung“. Seit April 2019 teilt sie Frischfleich im Supermarkt in die Stufen 1 für den gesetzlichen Mindeststandards, 2 für Stallhaltungen mit mehr Platz pro Tier, 3 für eine Haltung mit „Außenklima“ und 4 („Premium“) für Bio-Ware und Fleisch von Tieren, die über mehr Stallplatz und Auslauf im Freien verfügen. Zwischenzeitliche Überlegungen aus dem Agrarministerium sahen vor, diesen Ansatz für das staatliche Label über den Haufen zu werfen und nach dem Vorbild der Eier-Kennzeichnung eine Bewertung von 0 bis 3 einzuführen. Dabei würde, genau umgekehrt als beim Schema des Handels, die 0 als niedrigster Wert für die beste Stufe stehen. Handelsunternehmen wie Tierhalter reagierten empört und sahen das bisher Entwickelte in Gefahr – dem Vernehmen nach sind die Überlegungen vom Tisch.
Erwartet wird, dass Özdemir mit einem Label für Schweinefleisch beginnt und dort Kriterien zunächst nur für Mastschweine festlegt, die die Stallgestaltung und Auslaufflächen berücksichtigen und Bio als beste Haltungsform ausweisen. Womöglich sogar als eigenständigen Gold-Standard: Während die Grünen-Politikerin Renate Künast zuletzt öffentlich über vier Stufen (wie beim Modell des Handels) sprach, kursiert in Fachkreisen nun das Gerücht, dass Özdemir eine fünfte Stufe vorschlagen könnte, die allein für Bio-Fleisch reserviert ist. Völlig offen scheint zudem, wann andere Tierarten folgen und ob in absehbarer Zeit neben dem Einzelhandel auch die Gastronomie oder Hersteller von Produkten mit verarbeitetem Fleisch einbezogen werden.
Mit Spannung erwartet wird vor allem, ob und wie sich das staatliche Modell in das vom Handel etablierte System einfügt – mit dem keineswegs alle restlos glücklich sind. Verbraucherzentralen bemängeln, dass es sich nur auf formale Haltungskriterien beschränkt und keine Aussage darüber trifft, wie gut es den Tieren ging. Tatsächlich leiden Nutztiere unabhängig von der Größe eines Betriebes oder Stalls und gleich, ob sie konventionell oder nach Bio-Standards gehalten werden, an zahlreichen so genannten Produktionskrankheiten, Schweine etwa unter Gelenkveränderungen oder Lungenentzündungen. . Entsprechende Befunde werden in manchem Betrieb bei mehr als der Hälfte der Tiere nachgewiesen. Solange „Tierwohl“ nur die Haltungsform ausweist, bleiben solche Daten unberücksichtigt.
Auch aus der Branche kommt Kritik, so aus den Reihen der Handwerksmetzger. Noch im Juni will die in NRW verbreitete Kette Wurst Esser ein eigenes Kennzeichen – die „Tierwohlpunkte“ – an den Start bringen. Weitere Betriebe sollen folgen, um das Modell als Siegel der Direktvermarkter und Handwerksbetriebe zu etablieren. Denn dass sich diese bei der von Lidl & Co. etablierten Haltungskennzeichnung beteiligen, ist im System der Handelsunternehmen bisher nicht vorgesehen. Unternehmenschef Max Esser kritisiert es daher als „Label der Konzerne“. Von Özdemirs Siegel erwartet er, dieses Modell im Wesentlichen zu „kopieren“ und Handwerksbetriebe zu benachteiligen. Sein Punktesystem soll nach oben hin offen sein, um Verbesserungen in der Tierhaltung kontinuierlich abbilden zu können. Die auf www.tierwohlpunkte.de veröffentlichten Kriterien umfassen zudem erstmalig auch die Tiergesundheit.
Die und nicht die Haltungsform bewerten auch führende Tierärzte als das Wichtigste: Gesundheit als Voraussetzung, ohne die es „Tierwohl“ nicht gibt. „Ein gesundes Tier hat es auf einem Öko-Hof besser als auf einem konventionellen. Aber es gibt eben viel zu viele kranke Tiere in Bio-Betrieben“, sagte der Veterinärmediziner Albert Sundrum von der Universität Kassel in einem Interview mit der Zeit. Auch Thomas Blaha, stellvertretender Vorsitzender der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz, kritisiert den Fokus auf eine bloße Kennzeichnung der Haltungsumstände. Siegel sein zwar „nett“, aber „ein stumpfes Schwert, um den Tierschutz wirklich voranzubringen. Sie können nur den heutigen Zustand in der Tierhaltung abbilden, verleiten die Landwirte aber nicht zu den nötigen Investitionen für Verbesserungen, weil sie keine Sicherheit haben, am Ende für ihre Produkte auch zuverlässig mehr Geld zu bekommen.“ Der erste Schritt müsse sein, die bestmögliche Tiergesundheit zu erreichen: „Dazu sollten wir fortlaufend Tierwohlkriterien erfassen, zum Beispiel die Mortalitätsraten in den Herden, und die Betriebe mit Tierwohlmängeln darauf verpflichten, sich hier zu verbessern“, so Blaha. „Wenn wir die Tiergesundheit in allen Tierbeständen auf einem hohen Stand haben, können wir dann auch ein Haltungskennzeichen für die Produkte einführen.“ Für einen dauerhaft nachhaltigen Tierschutz seien zudem „mindestens drei Milliarden Euro“ nötig – „und zwar nicht einmalig, sondern jährlich, weil die Tierhalter höhere Kosten haben werden und dafür einen Ausgleich zu den Weltmarktpreisen brauchen.“
Woher kommt das Geld für mehr Tierschutz? Das ist die nächste Aufgabe für Minister Özdemir – eine ungleich größere als die Ausgestaltung eines Siegels.
Dieser Text erschien in kürzerer Fassung zuerst in der Frankfurter Rundschau.
Bildquellen: Adobe Stock (Schweine); BMEL (Staatliches Tierwohl-Siegel); Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung mbH (Grafiken Haltungsform-Kennzeichnung)
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