Das Ampelbündnis will in der Ernährungs- und Agrarpolitik fast alles anders machen als bisher. Doch was es genau vorhat, bleibt merkwürdig unklar. Wer den Versuch macht nachzufragen, trifft auf eine Koalition, die sich nicht erklären will – und der noch so mancher Konflikt ins Haus steht.
23. Februar 2022
„Viele Jahre lang“ sei in der Agrar- und Ernährungspolitik das Lösen der Probleme „auf die lange Bank geschoben worden“, begann die Grünen-Politikerin Renate Künast vor einigen Tagen ihre Rede im Bundestag – um gleich zu versprechen: „Wir packen es aber jetzt an.“ 16 Jahren „Stillstand“ werde nun ein „Aufbruch“ entgegengesetzt.
Es ist die Vokabel der Stunde, wenn es um die Vorhaben der Ampelkoalition in diesem Politikfeld geht. „Landwirtschafts- und Ernährungspolitik im Aufbruch“, so vollmundig bereits die Überschrift über den Koalitionsantrag, der die Plenardebatte begründete. Und tatsächlich gelang es Cem Özdemir, mit seinen ersten Auftritten so etwas wie Aufbruchstimmung zu erzeugen: Selten haben sich konventionelle Landwirte so euphorisch über einen Grünen-Politiker geäußert wie in diesen Tagen über den neuen Minister.
Stellt sich nur die Frage, wohin die Ampel aufbricht – und ob das Bündnis dies selbst eigentlich so genau weiß. Erklären möchte es sich lieber nicht.
Der Koalitionsvertrag bleibt an zentralen, Aufbruch-relevanten Stellen merkwürdig vage. Wie bei der bis 2023 angekündigten „Ernährungsstrategie“. Welches Ziel soll sie erfüllen, welche Probleme lösen, welche Themen umfassen? Steht nicht da. In den Vertrag kam die Ernährungsstrategie, so ist zu hören, als eine Art Resterampe: Ein Schlagwort, hinter dem jede Partei das verstehen darf, worauf sich das Bündnis nicht verständigen konnte. Nur: Eine Projektionsfläche ist noch keine Wende-Strategie.
Die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung entwickelten Standards für eine ausgewogene Kost in der Gemeinschaftsverpflegung will die Koalition „etablieren“, heißt es weiter. Auch so eine Formulierung: Es gibt die Standards für Kitas, Schulen, Kliniken und Pflegeheime ja bereits seit Jahren – nur die Umsetzung hapert. Will die Ampel sie gesetzlich vorschreiben? Und falls ja, warum sagt sie das nicht? Stattdessen halten sich Koalitionspolitiker auch in Interviews sklavisch an den eigenwilligen Wortlaut vom „Etablieren“ der Standards.
An anderer Stelle schränken kleine, sprachliche Einschübe die Vorhaben wieder ein. Oder auch nicht, so genau weiß man das nicht. Man liest, liest zweimal, dreimal – und hält doch viele Interpretationen für möglich. Dabei geht es nicht nur um Details, die so kurz nach Amtsantritt freilich noch offen sind. Es geht ums große Ganze. Denn es ist ja nicht so, dass Julia Klöckner nicht auch irgendwie Zuckerreduktion und Werbebeschränkungen betrieben hat. Viele der genannten Ziele sind durchaus identisch. Aber wie sie verfolgt werden, ob freiwillig oder verpflichtend, ernsthaft oder als Feigenblatt, an solchen Fragen entscheidet sich, ob die Koalition an einer „Wende“ arbeitet oder weiter vor sich hin klöcknert.
Wer ankündigt, „bestehende Lücken in der Nutzzierhaltungsverordnung“ sowie „Rechts- und Vollzugslücken im Bereich des Tierschutzes“ zu schließen, muss noch keine Entwürfe vorlegen – sollte aber benennen können, welche Lücken er meint. Und je größer die Ziele, die eine Regierung benennt, umso mehr sollte sie auch zumindest im Grundsatz sagen, wie sie es angehen will.
Doch niemand sollte den Fehler machen, nachzufragen.
12 Fragen, die im Kern alle darauf abzielen zu verstehen, was das im Koalitionsvertrag für die Ernährungs- und Agrarpolitik Vereinbarte bedeutet, treffen nach dem Versand an die verantwortlichen Koalitionäre auf wenig Auskunftsbereitschaft. Till Backhaus, Agrarminister in Mecklenburg-Vorpommern und leitender Unterhändler der SPD, hat offenbar keine Lust, etwas zu erläutern. Sein Sprecher verweist auf Susanne Mittag, inzwischen ernährungs- und agrarpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Doch auch die mag nichts sagen und tut dies mit den Worten: „Gewiss wird es in den kommenden Monaten Aufgabe (…) sein, die vereinbarten Grundsätze konkret auszuformulieren und in Regierungshandeln umzusetzen. Sie können darauf vertrauen, dass dieser Prozess in einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den Koalitionspartnern erfolgen wird.“ Der Grünen-Verhandlungsführerin Renate Künast war es innerhalb von drei Wochen „zeitlich leider nicht möglich“, zu erklären, was man da vereinbart hat.
Allein FDP-Agrarpolitikerin Carina Konrad antwortet schließlich auf mehrfaches Nachfassen. Aber, was heißt antworten. Was unter der „umfassenden Herkunftskennzeichnung“ zu verstehen ist? Man wolle „bestehende Herkunftskennzeichnungen klarer ausgestalten“. Wann Landwirte den „Weg zur Klimaneutralität“ abgeschlossen haben sollen? Der vereinbarte Umbau der Ställe werde „zunächst mehr Treibhausgasemissionen“ bringen. Wie sich die geplanten „wissenschaftlich fundierten“ Reduktionsziele für Zucker, Fett und Salz von jenen unterscheiden sollen, die CDU-Ministerin Klöckner in ihrer Amtszeit mit der Industrie vereinbart hatte? Werde man „weiterhin genau im Blick“ haben, es gebe ja bereits „erhebliche Erfolge“. Wie die Nährwertkennzeichnung Nutriscore „weiterentwickelt“ wird? Eine Überarbeitung „findet ohnehin statt“.
Es besteht nicht nur Erklärungsbedarf, die Koalition scheint auch intern noch einiges klären zu müssen. Das gilt auch für Özdemir. Der Grüne kam an den Landwirtschaftsministerposten wie die Jungfrau zum Kinde, am Koalitionsvertrag für seinen Bereich war er nicht beteiligt. Ergänzt ihn nun aber um neue Ambitionen, die manchem due Ohren schlackern lassen. Özdemir will „Ramschpreise“ unterbinden, Bauern bessere Einkommen sichern, und gleichzeitig dafür Sorge tragen, dass alle Menschen sich hochwertige Lebensmittel leisten können. Mit welchem Ansatz? Er will den Bio-Anteil „im Supermarkt“ bis 2030 auf 30 Prozent steigern – ausgehend von mickrigen sechseinhalb Prozent heute, rund 20 Jahre nach Einführung von Künasts Bio-Siegel. Um das Ziel zu erreichen, müsste Özdemir eine gewaltige Marktumwälzung anstoßen, die die gesamte Lebensmittelbranche und die Verbraucher betrifft. Sollte er da nicht wenigstens andeuten, wie er es anpacken will, wenn er das Ziel schon benennt? Er kündigt noch für dieses Jahr eine Haltungskennzeichnung an. Für welche Produkte? Auf Anfrage gibt sich das Ministerium zu alldem schmallippig. Sieht darin „Einzelheiten“, zu denen man „zum jetzigen Zeitpunkt keine Aussagen treffen“ könne, so ein Sprecher. „Im Übrigen stehen die Aussagen des Bundeslandwirtschaftsministers für sich.“ Nun, das ist Ansichtssache. Wie der Koalitionsvertrag.
Aufbruchstimmung ist ein zartes Pflänzchen. Und mehr noch: Wo vieles im Ungefähren bleibt, besteht Streitpotenzial. Die Antworten der FDP-Abgeordneten Konrad lassen Konfliktlinien bereits erkennen. Wo große Teile der von Grünen und SPD üblicherweise eine Zuckersteuer fördern, betont Konrad „Ernährungsbildung“ und „Bewegung“ und dass der Verbraucher „sich kritisch mit der eigenen Ernährung“ auseinandersetzen müsse. Wo andere eine harte Werberegulierung für Ungesundes fordern, will Conrad „gemeinsam mit allen Beteiligten der Branche“ Lösungen erarbeiten – also im Grunde so, wie es Klöckner bereits getan hat. Und wenn es aus den Reihen der SPD-Verhandler für die Gesundheitspolitik heißt, dass sich das Bündnis auf „verbindliche“ Qualitätsstandards für die Gemeinschaftsverpflegung geeinigt habe (offen nur noch, für welche Einrichtungen), will die Koalition FDP-Frau Konrad zufolge erst einmal evaluieren, wo überhaupt Probleme bestehen.
Immerhin ein Punkt wird aus den Antworten der Liberalen unmissverständlich klar. Es sei „vereinbart“, dass die Nutztierhaltungsverordnung auf „verschiedene Tierarten wie etwa ‚Pute‘“ ausgeweitet werde. Ob das die Aufbruchstimmung konservieren kann, darf bezweifelt werden.
Zumal auch noch offen bleibt, wie die Verordnung für Puten dann gestaltet wird.
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