Das staatliche deutsche Öko-Label kostet jedes Jahr rund eine Viertelmillion Euro – dabei ist es seit Einführung des verpflichtenden Bio-Siegels der EU eigentlich überflüssig. Der Steuerzahlerbund sieht die Doppelstrukturen kritisch. Doch für Fleisch kommt nun sogar ein drittes Bio-Siegel.
9. Juli 2022
Im Mai war es wieder einmal Zeit für eine Urkunde. Hanns-Christoph Eiden, Präsident der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), überreichte sie an die Chefs der Topas GmbH: Ein „veganer Aufschnitt“ des Unternehmens von der schwäbischen Alb ist das 95.000ste Produkt, das das markante Sechseck für Öko-Produkte tragen darf. „Das deutsche Bio-Siegel läuft und läuft“, twitterte Eiden.
20 Jahre nach seiner Einführung gilt es als Erfolgsgeschichte, das 100.000ste Produkt ist nur noch eine Frage der Zeit. 96 Prozent der Verbraucher kennen das Bio-Sechseck, es ist das bekannteste Lebensmittel-Siegel der Republik. Dabei ist es streng genommen überflüssig.
2001 führte die damalige Ernährungsministerin Renate Künast das Kennzeichen ein. Ihre Motivation: Ungeduld. Die Grünen-Politikerin wollte Bio-Lebensmittel fördern. Was sich „Bio“ nennen darf, regelte schon damals die EU – doch dem Staatenbund gelang es über Jahre hinweg nicht, ein gemeinsames Öko-Logo zu beschließen. Künast wollte nicht länger warten. Sie ging voran mit einem nationalstaatlichen Logo und einer omnipräsenten Werbekampagne, die es bekannt machte und der Bio-Branche Marktanteile bescherte.
Das deutsche #Bio -Siegel läuft und läuft. Es war mir eine Freude, der Firma #Topas eine Anerkennungsurkunde zu überreichen, weil sie das 95.000ste Produkt zur Verwendung des Zeichens angemeldet hat. Ein veganer Brotbelag. @bmel @bioverband_de @bzfe_de pic.twitter.com/BGoJkbAohD
— Hanns-Christoph Eiden (@HannsEiden) May 10, 2022
Es vergingen noch Jahre, bis das lange geplante EU-einheitliche Bio-Siegel kam: Ein stilisiertes, geschwungenes Blatt aus weißen Sternen auf hellgrünem Hintergrund. 2010 wurde es Pflicht: Alle verpackten Bio-Lebensmittel im Binnenmarkt müssen es tragen. Seine Aussage: Hier ist Bio drin – ein Produkt, hergestellt nach den Vorgaben der europäischen Ökoverordnung.
Exakt dieselbe Bedeutung hat das staatliche deutsche Siegel. Anders als etwa die nationalstaatliche Bio-Kennung in Österreich oder Logos von Anbauverbänden wie Bioland und Demeter ist es nicht an strengere Bedingungen geknüpft. Das Künast-Siegel dürfen Hersteller freiwillig zusätzlich zum EU-Label nutzen, wegen der Bekanntheit nutzen sie das gern – aber die Kriterien sind exakt dieselben.
Eigentlich könnte es also einfach sein: Wer das EU-Biosiegel hat, sich also den Öko-Kontrollen unterwirft, darf auch das deutsche Sechseck zeigen. So einfach ist es aber nicht.
Unternehmen, die das deutsche Label wollen, müssen sich bei der BLE registrieren, genau: beim Referat 522 mit dem Namen „Zulassung, Meldungen Ökologischer Landbau“. Eine Stelle im gehobenen und eineinviertel Stellen im mittleren Dienst sind dazu im Referat 522 angesiedelt – Kosten: mehr als 235.000 Euro für Personal und Sachkosten im Jahr. Hinzu kommen anteilige Gelder für die Öffentlichkeitsarbeit aus einem anderen Topf, deren Höhe die Behörde nicht genau beziffern konnte. Die BLE nimmt Registrierungen an, informiert über das Siegel und verleiht Urkunden, wenn es runde Zahlen zu vermelden gibt.
Der Bund der Steuerzahler sieht das kritisch. Steuergeld sollte grundsätzlich wirtschaftlich und sparsam verwendet werden, daher müssten auch „Doppelstrukturen staatlicher Stellen vermieden werden“, mahnt Präsident Reiner Holznagel. „Mit Blick auf die verschiedenen Bio-Siegel sollte sich Deutschland deshalb mit seinen europäischen Partnern abstimmen und prüfen, inwieweit hier Doppelstrukturen abgebaut und abgeschafft werden können.“
Können sie nicht, meint man im Bundesernährungsministerium. Die Registrierung ermögliche „einen Überblick über die Zahl der registrierten Produkte“, erklärt eine Sprecherin. Zudem sei sie „erforderlich, um eine einheitliche und den Bestimmungen der Verordnung entsprechende Verwendung des Siegels zu gewährleisten“. Dabei geht es um die korrekte grafische Einbindung auf den Packungen, nicht um eine unerlaubte Nutzung des Bio-Etiketts – denn das prüfen ohnehin die Öko-Kontrollstellen im Zusammenhang mit den EU-Regularien.
Wäre es eine Alternative, die Bekanntheit des obligatorischen EU-Siegels – bisher knapp 60 Prozent – zu erhöhen, etwa mit Werbekampagnen wie einst für das deutsche Sechseck? Im Ministerium winkt man ab, die Markenrechte für das europäische Label lägen schließlich in Brüssel. Es sei daher „grundsätzlich Aufgabe der Europäischen Kommission für die weitere Marktdurchdringung des EU-Bio-Logos zu sorgen.“
Bald wird es in Deutschland noch ein drittes staatliches Siegel geben, das Bio-Produkte als Bio-Produkte ausweist: die Tierhaltungskennzeichnung. Agrarminister Cem Özdemir kündigte an, dass Bio-Ware dort eine eigene Stufe darstellen soll. Vorgesehen ist, dass sich Bio-Tierhalter bei den Behörden als Bio-Tierhalter registrieren. Beim Nackensteak im Supermarkt können die Verbraucher dann auf Nummer sicher gehen: Wenn neben dem deutschen und dem europäischen Bio-Siegel auch die Haltungskennzeichnung „Bio“ anzeigt, dürfte es sich wirklich um ein Bio-Steak halten.
Dieser Text erschien zuerst in der Frankfurter Rundschau.
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