Das Frankfurter Ordnungsamt dokumentierte schwere Hygienemängel in einem Obst- und Gemüsebetrieb – zuvor hatte es diesen jahrelang nicht mehr überprüft. Schließlich schlossen Kontrolleure den Betrieb vorübergehend, verzichteten aber auf amtliche Proben zur Keim-Analyse. Ein Fall, der viele Schwachstellen der Lebensmittelkontrollen aufzeigt.
23. November 2022
Die Frankfurter Lebensmittelkontrolleure hatten viel zu notieren. Über das Kartoffellager zum Beispiel: „Der Raum war so stark verunreinigt, dass eine Grundreinigung aller Geräte und Oberflächen erforderlich war“, schrieben sie. „Ausscheidungen“ deuteten auf „Mäusebefall“ hin.
Auch andere Produktionsräume des Obst- und Gemüsebetriebs machten keinen guten Eindruck auf die Amtsleute. Akribisch dokumentierten sie beschädigte Maschinen und die angerosteten Klingen einer Schneidemaschine, protokollierten „schwarzschimmelähnliche Beläge“ auf dem Fußboden, „braune und schmierige Anhaftungen“ an einer Sellerieschälmaschine, „schimmelähnliche“ Verunreinigungen auf einer Gemüseschneidemaschine, einem Arbeitstisch, einer Trocknungsschleuder, auf Messerhaltungen und Schneidebrettern. So geht es 44 Seiten lang in Wort und Bild. Am Ende der gut zweieinhalbstündigen Prüfung stand für das Ordnungsamt fest: „Wegen starken hygienischen Mängeln (…) wird das Herstellen, Behandeln und das Inverkehrbringen von Lebensmitteln mit sofortiger Wirkung bis auf Weiteres untersagt.“
Monate nach dem eigentlich als Routinekontrolle geplanten Besuchs liegen der FR die amtlichen Berichte vor. Der Betrieb, die Karl Engelmann GmbH, hatte eine Herausgabe durch die Stadt Frankfurt an den Autor verhindern wollen, war damit jedoch Mitte September vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt gescheitert (Az 11 L 1965/22.F).
Der Tag, an dem die Kontrolleure das Unternehmen vorübergehend dicht machten, war Dienstag, der 19. April dieses Jahres. Der erste Arbeitstag nach jenem Osterwochenende, an dem ein folgenreicher Lebensmittelskandal bekannt geworden war. Vier Erkrankte, ein verstorbener Klinikpatient, die Ursache aus Sicht der hessischen Behörden: Listerien-, also bakterienbelastete Lebensmittel aus einem Obst- und Gemüsebetrieb im Kreis Groß-Gerau. Auch hier stellten Kontrolleure gravierende Hygienemängel fest. Allerdings musste der Landkreis einräumen, das Unternehmen zuvor zwei Jahre lang nicht mehr aufgesucht zu haben.
Als der Fall öffentlich wurde, löste er hektische Betriebsamkeit in anderen hessischen Lebensmittelbehörden aus: Könnte es bei ihnen einen ähnlichen Fall geben? Im Frankfurter Ordnungsamt erinnerte man sich schnell an die Karl Engelmann GmbH. Ein kleines Unternehmen, das sich im Internet als „Frische-Partner“ präsentiert und damit wirbt, Hygienestandards „stets“ einzuhalten. Es gab Parallelen: Wie jener Betrieb im Kreis Groß-Gerau verarbeitete auch Engelmann Obst und Gemüse, lieferte es vorgeschnitten aus, nach eigenen Angaben im Internet auch an Kantinen, Krankenhäuser und Kitas. Und wie die Kollegen im Nachbarkreis hatten die Frankfurter Kontrolleure das Unternehmen lange nicht mehr besucht – bei Engelmann waren es bald vier Jahre.
Anders als der Betrieb war das Ordnungsamt schon länger der Auffassung, dass die Hygienestandards keineswegs immer eingehalten werden. Bei einem Kontrollbesuch im April 2018 hatten Kontrolleure so manche Verschmutzung festgestellt, die Instandhaltung als unzureichend kritisiert. Sie setzten Fristen, bis wann die Probleme gelöst sein mussten. Restlos zufrieden waren sie bei der Nachkontrolle im September 2018 nicht. Die Hygienemängel waren offenbar beseitigt, ein Teil der baulichen Mängel ausweislich des Protokolls „noch nicht“. Die Kontrolleure kündigen eine weitere „kostenpflichtige Nachkontrolle“ an.
Doch die bleibt aus. Obwohl die Vorschriften auch ohne Mängel wenigstens einmal im Jahr eine Kontrolle vorsehen, betraten die Prüfer den Betrieb erst wieder an jenem Dienstag nach Ostern, gut dreieinhalb Jahre später. Das Ordnungsamt erklärt die langen Abstände mit einem „grundsätzlich geringeren Produktrisiko im Vergleich zu Betrieben, die mit Fleisch oder Fisch arbeiten“.
Es war also geschehen, was immer geschieht, wenn Amtsleiter den Mangel verwalten müssen. Es fehlt ihnen das Personal, um alle vorgeschriebenen Kontrollen durchzuführen, also müssen sie Prioritäten setzen. Eine undankbare Aufgabe, weil irgendwo immer eine Lücke entsteht – mal fallen Kontrollen in der Gastronomie weg, mal in Schulkantinen, wie lange Zeit in Frankfurt. Nun hatte die Aktualität die Aufmerksamkeit auf Schneidebetriebe für Obst und Gemüse gelenkt, die Kliniken beliefern, und allen ist klar: Hier eine Kontrolle mehr bedeutet dort eine Kontrolle weniger – stopfen die Ämter ein Loch, reißt es an anderer Stelle wieder auf.
In Hessen ist das seit dem Listerienskandal um die Wurstfabrik Wilke ein Dauerthema, auch der Landesrechnungshof hat die „Kontrolldefizite“ aufgrund überlasteter Ämter kritisiert. Verbraucherschutzministerin Priska Hinz (Grüne) sieht die Kommunen in der Pflicht – und verlieh ihrer Unzufriedenheit mit den Fortschritten zuletzt in immer höherer Frequenz Ausdruck. Im Landtag, öffentlich, mit Erlassen, in Gesprächen mit Regierungspräsidenten und in Briefen an Landräte und Oberbürgermeister.
Den inzwischen abgewählten Frankfurter Verwaltungschef Peter Feldmann schrieb Hinz zuletzt am 5. September 2022 an, der Brief liegt dem Autor vor. „Bedauerlicherweise musste ich feststellen, dass sich die Zahlen zur Sollerfüllung der Plankontrollen in Ihrer Stadt im Jahr 2021 noch nicht signifikant verbessert haben“, führt die Ministerin aus. Nur 48,3 Prozent der vorgeschriebenen Betriebsbesuche habe Frankfurt erledigt, nach 47,9 Prozent in 2019, und nur ein Drittel der angeforderten Lebensmittelproben abgeliefert. Die bisherige Personalaufstockung habe „leider noch nicht zu den gewünschten Verbesserungen geführt“, so Hinz. Als Anlage legte sie ein „Ranking“ bei. Es führt die Stadt Frankfurt auf Platz 18 der 25 hessischen Kommunen. Die schlechteste hatte ihr Kontroll-Soll nur zu 28,9 Prozent erfüllt, die beste zu 96,1 Prozent – 100 Prozent schaffte keine.
So zäh es politisch vorangeht, so mühsam ist auch die Arbeit an der Basis. Am 5. Mai dieses Jahres sind Frankfurter Lebensmittelkontrolleure erneut für gut eineinhalb Stunden zur Nachkontrolle bei Engelmann. Offenbar gibt Verbesserungen, doch seien die Hygienemängel „zum Großteil nicht zufriedenstellend beseitigt worden“, heißt es in ihrem Bericht. Die Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen sei „augenscheinlich nicht zielführend“ gewesen.
Ausschnitte aus dem Bericht des Frankfurter Ordnungsamtes zur Kontrolle vom 19. April 2022.
(Anm: Die Bilder stellen nicht die aktuelle Situation in dem Betrieb dar.)
Anfragen an das Unternehmen blieben ohne Antwort. Ausweislich des amtlichen Kontrollberichts vom 5. Mai kündigt der Firmenchef an, einen Teil des Betriebes stillzulegen und künftig auf die Kartoffelproduktion zu verzichten. Am Folgetag sperrt das Ordnungsamt Geräte im Kartoffellager „mit Siegelband“ und gibt die Produktion in anderen Teilen des Betriebes wieder frei. Zuvor musste das Unternehmen Laboranalysen vorlegen um auszuschließen, dass in den Produktionsräumen ein Listerien-Problem besteht. Der Nachweis gelang, und auch spätere Listerien-Untersuchungen aus dem Mai und Juli blieben nach Angaben des Ordnungsamtes negativ.
So gibt es zu keinem Zeitpunkt einen Hinweis darauf, dass die heimtückischen Bakterien bei Engelmann je ein Thema waren. Und doch bleibt die Frage: Weshalb ließen die städtischen Kontrolleure dies nicht direkt bei ihrem Besuch nach Ostern untersuchen? Weshalb verzichteten sie auf amtliche Proben? Sicher sein konnten sie sich an diesem Tag schließlich nicht, und das nicht nur wegen der Hygienemängel: Der konnte ihnen laut Protokoll auch nicht nachweisen, in der Vergangenheit die gesetzlich vorgeschriebenen Laboruntersuchungen auf Listerien und andere Keime durchgeführt zu haben.
Jedes Jahr erfasst das Robert Koch-Institut 500 bis 600 Listeriose-Erkrankungen. 30 bis 40 enden tödlich, vor allem bei Älteren. Stecken sich Schwangere an, können Tot-, Fehl- oder Frühgeburten die Folge sein.
Meist stammen die Keime von Lebensmitteln. Doch welches Produkt, welcher Anbieter für die Ansteckung verantwortlich ist, erfahren die Betroffenen in den wenigsten Fällen. Wenn dies gelingt, konnten Behörden sowohl bei Patienten wie auch bei Lebensmitteln Bakterienstämme isolieren, ihren genetischen Fingerabdruck vergleichen. Nach dem Wilke-Fall hat Hessen einiges dafür getan, die Wahrscheinlichkeit dafür zu erhöhen. Gesundheits- und Lebensmittelbehörden arbeiten seitdem enger vernetzt.
Das alles setzt aber voraus, das Proben genommen und analysiert werden – etwa dann, wenn die hygienischen Zustände in einem Lebensmittelbetrieb eine Keimbelastung zumindest möglich erscheinen lassen. Das Frankfurter Ordnungsamt erklärt den Verzicht auf amtliche Proben damit, dass es „keinen Verdacht auf Erkrankungen“ im Zusammenhang mit der Firma Engelmann gegeben habe. Man habe sich darauf konzentriert, dass das Unternehmen zum Neustart der Produktion „nachweislich sauber und listerienfrei“ sei. Das Regierungspräsidium Darmstadt, zuständig für die Fachaufsicht der Stadt, erklärt auf Anfrage, acht Tage nach der Betriebsschließung über den Fall informiert worden zu sein. „Zu diesem Zeitpunkt waren die Lebensmittel des Unternehmens bereits entsorgt und die auf Anordnung der Behörde durchgeführten betrieblichen Reinigungs- und Desinfektionsarbeiten bereits abgeschlossen“, so ein Sprecher – es habe also „wenig Sinn“ gehabt, die Stadt noch zur Entnahme von Proben anzuweisen. Aber: „Zu einem geeigneten Zeitpunkt wäre eine entsprechende Empfehlung durch uns ausgesprochen worden.“
Die Karl Engelmann GmbH wird inzwischen engmaschig geprüft, allein im August schauten Kontrolleure dort zwei Mal nach dem Rechten. Wo stattdessen Kontrolllücken entstehen, wird die Zukunft zeigen. „Über einer Rückmeldung, wie die Kontrollsituation in Ihrer Stadt verbessert werden soll, würde ich mich freuen“, schrieb Ministerin Hinz am Ende ihres Briefes an OB Feldmann.
Dieser Text erschien zuerst in der
Frankfurter Rundschau. Fotos: Ausschnitte aus den Kontrollberichten des Frankfurter Ordnungsamtes.
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