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Sieben Tage Schweigen

Martin Rücker

ministerium verschleppte wichtige Rückruf-Information 

Aufgrund einer möglichen Belastung mit gefährlichen Bakterien rief ein schleswig-holsteinisches Unternehmen Käseprodukte zurück – doch das schleswig-holsteinische Verbraucherschutzministerium brauchte sieben Tage, bis es die Öffentlichkeit informierte. Recherche eines Behördenversagens.

17. Dezember 2021

Dass der „Weihnachtskäse“ aus Schleswig-Holstein besser nicht verzehrt werden sollte, erfuhr eine breitere Öffentlichkeit am 9. Dezember 2021. An diesem Tag wies das staatliche Rückrufportal lebensmittelwarnung.de auf eine mögliche Keimbelastung einiger Chargen des Produktes hin – viele Medien griffen die Meldung auf. Es war eine Warnung der drängenderen Sorte: Der Käse könnte mit Listerien belastet sein, einer heimtückischen Bakterienart, die vor allem bei Schwangeren und Immungeschwächten schwerwiegende Erkrankungen auslösen kann und die zuletzt beim Lebensmittelskandal um die hessische Wurstfabrik Wilke in mit mehreren Todesfällen in Verbindung gebracht wurde.


Aufgrund dieses Verdachts hatte der Hersteller seine nahezu bundesweit vertriebenen Weihnachtskäse-Chargen vom Markt genommen – allerdings bereits am 2. Dezember, eine ganze Woche bevor die schleswig-holsteinischen Behörden öffentlich über das mögliche Gesundheitsrisiko informierten. Sieben Tage lang schwiegen sie. Sieben Tage, in denen Verbraucher den Käse mutmaßlich in ihren Kühlschränken liegen hatten und jederzeit verzehren konnten. Weshalb versäumten es die Behörden, sie zu informieren? Was dauert so lange?


Firmen handelten ohne Verzug


Zunächst ging alles schnell. Bei Eigenkontrollen hatte der Hersteller, die Landkäserei Holtsee, Proben aus seiner Produktionsstätte auf Listerien untersuchen lassen. Weil die Laborwerte auffällig waren, informierte die Käserei sowohl ihre Kontrollbehörde im Kreis Rendsburg-Eckernförde als auch den Großhändler »Gut von Holstein« im Kreis Segeberg, der den „Weihnachtskäse“ unter eigenem Namen vertreibt. Noch unklar ist, ob angesichts der Laborwerte aus dem Produktionsbetrieb auch die Produkte selbst mit Listerien verunreinigt ist – das sollen weitere Analysen klären, deren Ergebnisse in den nächsten Tagen erwartet werden. Vorsorglich aber veranlasste der Hersteller noch am 2. Dezember einen Rückruf. Weil der Käse bereits an die Verbraucher abgegeben wurde, ließ das Gut von Holstein mit Aushängen in den Verkaufsstellen auf den Rückruf hinweisen.


Erreichen lassen sich damit jedoch nur jene Kunden, die kurz nach dem Kauf und noch vor dem Verzehr des betroffenen Käses an selber Stelle erneut einkaufen gehen. Wer dies nicht macht, muss die Warnung auf anderem Wege erhalten – vor allem über Medien. Dafür soll das bundesweite, staatliche Portal lebensmittelwarnung.de sorgen. Ein Eintrag dort wird von einer Bundesbehörde in sozialen Medien verbreitet und per Pressemitteilung an Redaktionen verschickt, Zeitungen und Onlinemedien berichten, Radiosender vermelden die Warnung. Zentral verantwortlich für den Eintrag aller Rückruf-Meldungen aus Schleswig-Holstein in das Portal: das Landesverbraucherschutzministerium.


Screenshot der Behördenmeldung auf lebensmittelwarnung.de
Rückruf-Information des Inverkehrbringers, Quelle: lebensmittelwarnung.de

Bildquellen: Screenshots www.lebensmittelwarnung.de

Frühere Information wäre ohne Weiteres möglich gewesen

Warum informierte es die betroffenen Verbraucher erst eine Woche nach dem eigentlichen Rückruf am 9. Dezember? „Bis zum 08.12.2021 lagen nicht alle relevanten Daten für die Veröffentlichung auf dem Portal www.lebensmittelwarnung.de vor“, erklärt ein Ministeriumssprecher. Auf Nachfrage gibt er an, was gefehlt habe, zumal das Gut von Holstein mit Aushängen ja bereits gezeigt hatte, dass eine Information der Kunden unter Nennung der betroffenen Produktchargen möglich war: Die Mindesthaltbarkeitsdaten (MHD) der zurückgerufenen Produkte hätten erst ermittelt werden müssen.


Diese angeblich fehlende Information hielt das Ministerium offenbar davon ab, die Menschen über das Wesentliche zu informieren: Dass sie aufgrund einer womöglich ernsthaften Gesundheitsgefahr Käseprodukte besser nicht verzehren sollten. „Auch wir haben die zeitliche Verzögerung kritisch zur Kenntnis genommen und mehrfach nachgehakt“, zeigt man sich sogar bei Gut von Holstein irritiert.


Eine Information durch das Ministerium wäre also auch ohne MHD möglich gewesen – zumal der Käse vielerorts ohnehin in geschnitten und in Teilmengen abgegeben wurde, so dass die Kunden das Hersteller-MHD auf gekauften Produkten wohl gar nicht zwingend vorfinden, eine Angabe ihnen entsprechend nicht dabei helfen kann, ihre Betroffenheit zu prüfen.


Angeblich fhelten die MHD – doch die Daten lagen längst vor


Doch meinen Recherchen zufolge dauerte es auch keineswegs tagelang, die Daten zu ermitteln: Den Behörden lagen sie bereits deutlich früher vor. Sowohl die Holtseer Landkäserei als auch das Gut von Holstein erklären, die Lebensmittelüberwachung der Kreise Segeberg und Rendsburg-Eckernförde bereits am 2. und 3. Dezember umfassend informiert zu haben. Einschließlich der MHD. Das Lebensmittelamt in Rendsburg bestätigt das – und gibt an, die MHD noch am 2. Dezember an das Ministerium übermittelt zu haben.


Hakte es bei der Übertragung von Informationen? Wurde im Ministerium geschlampt? Ein Ministeriumssprecher erklärte, sein Haus habe aus Rendsburg „lediglich Unterlagen“ erhalten, „die nicht als Grundlage zur Erstellung einer Meldung in lebensmittelwarnung.de dienen können“. Der Kreis spricht von Lieferscheinen, die die MHD enthielten. Selbst wenn das Ministerium diese übersehen hätte oder nicht richtig einordnen konnte: Wenn das Ministerium eine Verbraucherinformation tatsächlich aufgrund vermeintlich fehlender MHD zurückhielt – es hätte diese kurzfristig bereits am 2. Dezember erfragen können. Als es sich beim Kreis Segeberg schließlich erkundigte, dauerte es nur wenige Stunden bis zu einer Antwort. Die Nachfrage stellte das Ministerium aber erst am 8. Dezember, als der Rückruf bereits sechs Tage alt war.


Wichtige Informationen fehlten beim Rückruf


Insgesamt sieben Tage Verzug – das Ministerium erkennt darin kein Problem. „Die Verbraucher wurden bereits zuvor vom Lebensmittelunternehmer über Aushänge in den belieferten Verkaufsstellen effektiv informiert“, teilt es mit. Dass viele Betroffene darüber nicht erreicht werden konnten, darauf geht es nicht ein. Auch Verbraucherschützer legen andere Maßstäbe an Warnungen an: „Gerade bei Listerien, wenn es richtig gefährlich werden kann, muss unverzüglich gehandelt werden. Es wäre wichtig, für solche Warnungen möglichst viele Kanäle zu nutzen und zum Beispiel zu erreichen, dass Radiodurchsagen erfolgen“, sagt Selvihan Benda, Lebensmittelexpertin der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein.


Benda kritisiert auch die unzureichende Ausgestaltung der Informationen. „In dem Rückruf steht leider nicht, wie sich Listerien auswirken können und wie sich Betroffene verhalten sollen. Eine solche Einschätzung sollten die Behörden auf lebensmittelwarnung.de liefern, sonst sind die Menschen verunsichert.“ Tatsächlich liegen den Lebensmittelbehörden sogar vorformulierte Absätze des Robert-Koch-Instituts vor, die genau dies leisten sollen: eine konkrete Information darüber, welche Risiken bestehen und wie sich die Menschen verhalten sollen. In einem Merkblatt für Unternehmen und Behörden zählt das bayerische Verbraucherschutzministerium dies zu den „erforderlichen Bestandteilen“ einer Rückrufinformation – doch weder wiesen die schleswig-holsteinischen Kreisämter die beteiligten Unternehmen an, diese Angaben zu machen noch ergänzte das Landesverbraucherschutzministerium sie in seiner Meldung. Niedersachsen machte am Dienstag vor, wie es besser geht: Auch dort kam es zu einem listerien-bedingten Rückruf, betroffen war Bio-Teewurst des Herstellers Ökoland. In ihrer Meldung beschrieben die niedersächsischen Behörden genau die möglichen Symptome im Erkrankungsfall und rieten Schwangeren, auch ohne Symptome zum Arztbesuch, wenn sie das Produkt verzehrt hatten.


Der Recherche erschien zuerst in den Lübecker Nachrichten sowie bei LN-Online.

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