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Tierhaltung: Sagt den Bauern die Wahrheit!

Martin Rücker

Fehlende Pläne für die Zukunft der Tierhaltung 

Cem Özdemir will für den Klimaschutz die Zahl der Nutztiere in Deutschland reduzieren und gleichzeitig die hiesige Tierhaltung zukunftsfest machen. Erfolgversprechende Pläne fehlen für beide Ziele. Derweil hängen Bauernhöfe in der Luft oder geben verzweifelt auf – sie haben Besseres verdient. 

29. August 2022

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat sich einiges vorgenommen: 


Er will dem Bauernhofsterben entgegenwirken und die deutsche Tierhaltung „zukunftsfest“ machen.


Er will, dass die Betriebe nachhaltiger wirtschaften und in den Tierschutz investieren.


Und er will die Tierbestände reduzieren.


Viele Signale, die zusammen eine janusköpfige Botschaft ergeben: Jene Bauern, die um ihre wirtschaftliche Existenz kämpfen müssen und dazu noch hören, dass sie eigentlich nicht mehr erwünscht sind, sollen bereit dazu sein, für neue Ställe Kredite aufzunehmen und in mehr Tierschutz zu investieren. Das wirft Fragen auf.  


Eine Ausstiegsprämie soll es jedenfalls nicht geben


Einerseits ist Özdemirs Ziel so klar wie nachvollziehbar: Künftig sollen weniger Tiere (wegen des Klimas) besser gehalten werden (wegen des Tierschutzes), ihre Produkte dafür höhere Preise erzielen (wegen der Bauern). Andererseits bleibt der Weg dorthin jedoch vollkommen offen, zumal wir auch nicht allein sind auf der Welt: Irgendwie soll es ja gelingen, dass eine tiergerechtere und damit teurere Tierhaltung hierzulande nicht dazu führt, dass die Nachfrage nach Fleisch in Zukunft verstärkt aus dem Ausland gedeckt wird und hiesigen Tierhalter erst recht das Wasser abgräbt.


Wer in Özdemirs Ministerium nach den Plänen zu den Zielen fragt, erfährt wenig Konkretes. Fest steht: Eine Ausstiegsprämie für Tierhalter wie in den Niederlanden soll es auf keinen Fall geben.


Geprüft werde derzeit, ob und wie die Zahl der Tiere pro Hektar reduziert werden kann. Damit touchiert das Ministerium die globale Gretchenfrage für die Zukunft der Landwirtschaft: Wer plant und entscheidet darüber, welche Fläche wie genutzt werden darf? Die Frage muss behandeln, wer das System Landwirtschaft möglichst nachhaltig gestalten möchte, und zwar in jeder Hinsicht: Welternährung, Öko- und Klimabilanz, Biodiversität, Tierschutz. Die Debatte kann durchaus auch für Bauern zu unliebsamen Antworten führen. Noch schlechter ist, dass die Ampelregierung bislang überhaupt keine Antworten hat.  


Bei den ausgegebenen Zielen setzt die Koalition vor allem auf das Prinzip Hoffnung: die Hoffnung darauf, dass der Fleischkonsum in Deutschland weiterhin nach unten gehen wird. Und darauf, dass die staatliche Haltungskennzeichnung die Menschen trotz Inflation dazu bringen kann, teureres Fleisch aus vermeintlich besserer Haltung zu kaufen. Das ist arg wenig, für den Tierschutz wie für die Höfe.


Das staatliche Siegel: »Mischung aus Tabak-Warnhinweis und Traueranzeige«


Ausgerechnet der Entwurf für das Design (wenn man es so nennen möchte) des staatlichen Haltungskennzeichens steht sinnbildlich für die ratlose Unentschlossenheit der ampelkoalitionären Agrarpolitik. Sollte es den deutschen Tierhaltern helfen, müsste das Siegel ihre Produkte ja attraktiv machen – nur eben bloß nicht zu attraktiv, weil Özdemir sonst Gefahr liefe, den Fleischkonsum insgesamt anzukurbeln. So geriet die Gestaltung des Labels schlicht – oder, wie ein Branchenberater ätzte, wie eine „Mischung aus Tabakwaren-Warnhinweis und Traueranzeige“. Jedenfalls lässt sich dem Siegel ansehen: Hier möchte ein Ministerium den Absatz fördern, ohne den Absatz zu fördern.


Während Özdemirs Beamte über näheren Plänen noch brüten, vollzieht sich die Reduktion der Tierbestände längst von allein – allerdings nicht in Form eines geplanten und verlässlichen Prozesses, der mehr Tierschutz und Nachhaltigkeit bringt, sondern auf die denkbar grausamste Weise: Die Betriebe hören auf, weil sie nicht mehr können. Jeder zehnte verabschiedete sich in den vergangenen zwölf Monaten aus der Schweinehaltung. Eine Entwicklung, die radikal an Dynamik gewinnt, die aber keineswegs neu ist: Waren vor zehn Jahren noch mehr als 30.000 Betriebe mit Schweinen registriert, zählten die Statistiker in diesem Mai gerade noch 18.000. Die Halter geben auf, weil sie keine wirtschaftliche Perspektive sehen oder schon vor dem Ruin stehen. Und weil es keine Ansage gibt, keinen politischen Plan für ihre Branche. „Man lässt uns am langen Arm verhungern“, fasst ein Schweinehalter die Gemütslage zusammen.


Auf »Wachse oder weiche« folgt jetzt nur noch: Weiche


Auch wenn das Agrarministerium dies bestreitet, so bleibt doch der Eindruck, dass es ihm vielleicht ganz recht ist, wie sich die Dinge entwickeln – dass es dies nur nicht so laut sagen möchte aus Angst vor den Protesten der Bauern. Özdemir hat angekündigt, dass die Zeit von „Wachse oder weiche“ mit ihm vorbei sein solle. Das Problem ist, nun heißt es nur noch: weiche.


Die Bauern haben Besseres verdient. Zuallererst die Klarheit darüber, wer von ihnen mit welchen Tierbeständen in Zukunft noch gewollt ist, wie eine realistische ökonomische Perspektive für Tierprodukte aus tiergerechter Haltung aussieht – und wie der Reduktionsprozess politisch gesteuert wird. Es ist an der Zeit, dass Özdemir den Bauern reinen Wein einschenkt. Über Ziele hat er lang genug gesprochen, nun muss er sie mit Konzepten unterfüttern, statt nur vage Hoffnungen zu präsentieren.


Der Minister selbst hat diese Klarheit übrigens genauso nötig wie die Bauern: Denn mehr Nachhaltigkeit erreicht er nur, wenn er ihre Bereitschaft zum Mitmachen und Investieren weckt.


Der Text erschien zuerst in der Welt. Foto: Pexels auf pixabay.

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