Auch elf Monate nach der Wahl hat der Bundestag noch keine Angaben zu den Nebentätigkeiten der Abgeordneten veröffentlicht – dabei sollte nach den Lobbyaffären der vergangenen Wahlperiode alles transparenter werden. Woran hakt es?
5. September 2022
Die Maskengeschäfte einiger Unionspolitiker, die Lobby-Affäre um Philipp Amthor (CDU), dubiose Verbindungen einzelner Parlamentarier zum Regime in Aserbaidschan: Vieles war zusammengekommen, bis sich Mitte vergangenen Jahres plötzlich eine Mehrheit für ein neues Abgeordnetengesetz fand. Im Juni 2021 verabreichte sich der Bundestag selbst strengere Verhaltensregeln, die eine neue Transparenz über die Nebeneinkünfte der Mandatsträger versprachen.
Doch wer heute auf der Internetseite des Bundestages nach den „veröffentlichungspflichtigen Angaben“ der Gewählten sucht, findet: nichts. Nichts außer dem Hinweis, dass sich die Veröffentlichung „noch einige Zeit verzögern“ könne, bis die „Bearbeitung der Daten“ abgeschlossen sei.
Woran hakt es? Was der Bundestag beschlossen hatte, war auf viel Lob gestoßen: Statt nur in grobmaschigen Stufen sollten Abgeordnete Nebeneinkünfte von 3.000 Euro an auf den Cent genau angeben und mehr als bislang über Auftraggeber und Unternehmensbeteiligungen verraten. „Das ist fast so transparent, wie Sie das beim Finanzamt angeben müssen – aber eben auch fast so kompliziert“, meint Stephan Thomae, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion. Und liefert damit einen Grund, weshalb die neue Transparenz rund elf Monate nach der Bundestagswahl noch auf sich warten lässt: Der Aufwand für die Verwaltung sei „erheblich“, aber letztlich sei die Veröffentlichung auch „nicht zeitkritisch“.
Das sehen Kritiker anders. „Zunehmend schwer zu akzeptieren“ sei es, dass mögliche Interessenkonflikte von Abgeordneten bis heute nicht überprüft werden könnten, meint Imke Dierßen, Geschäftsführerin der Transparenzinitiative Lobbycontrol. „Da klafft eine riesige Transparenzlücke, und die muss jetzt schnell geschlossen werden“, fordert sie.
Nach Antritt ihres Mandats hatten die Abgeordneten bis Ende Januar Zeit, einen Fragebogen auszufüllen und beim Bundestagspräsidium einzureichen. 26 Abgeordnete versäumten diese Frist nach Angaben der Bundestagsverwaltung. 23 Mal sprach sie daher eine „Ermahnung in einem minderschweren Fall“ aus, ein Parlamentarier habe „ausreichende Entschuldigungsgründe für die Verspätung“ vorgelegt, die übrigen Fälle seien noch offen. Um welche Abgeordnete es sich handelt oder welchen Fraktionen sie angehören, bleibt unter Verschluss.
Inzwischen jedenfalls liegen die meisten Daten vor. Dass die Veröffentlichung dennoch auf sich warten lässt, begründet ein Bundestagssprecher mit den erweiterten Anzeigepflichten: Die Bearbeitung der Daten sei aufwändiger geworden, zudem habe der Ältestenrat des Bundestages erst im Mai dieses Jahres Ausführungsbestimmungen zu den Anzeigepflichten beschlossen. Diese haben offenbar zu zahlreichen Rückfragen geführt und sehen für einzelne Angaben zudem verlängerte Fristen vor. „Deshalb wird die Veröffentlichung, die schnellstmöglich erfolgen soll, noch etwas Zeit in Anspruch nehmen.“ Wie viel Zeit, sagt der Sprecher nicht.
Roman Ebener von der Transparenzorganisation Abgeordnetenwatch hat dafür kein Verständnis: „Schon im Juni 2021 hatte der Bundestag die neuen Transparenzregeln beschlossen – damals hätte man sich Gedanken machen können, wie man sie umsetzt.“ Dass dies nach der Wahl noch „mehr als ein halbes Jahr“ gedauert habe und die Öffentlichkeit monatelang nichts über die Nebeneinkünfte erfahre, sei „nicht akzeptabel“. Auch Transparency International Deutschland spricht von einem „Vollzugsdefizit“ und vermisst das Bewusstsein, wie wichtig Transparenz sei.
Trägt also Ältestenrat – ein für Geschäftsführungsfragen zuständiges Gremium aus 29 erfahrenen Parlamentariern, unter ihnen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) und ihre Vizepräsidenten – die Verantwortung? In der vergangenen Wahlperiode fehlte ihm wohl die Zeit, denn kurz nach dem Bundestagsbeschluss im Juni ging es in die parlamentarische Sommerpause und in den Wahlkampf. Spricht man mit Abgeordneten, ist umgekehrt einiger Unmut über die Bundestagsverwaltung zu hören, über ihre allzu analoge Arbeitsweise und langwierige Prozesse, bis Rückfragen zu den Anzeigepflichten beantwortet würden. Zitieren lassen möchte sich mit der Kritik an der Verwaltung niemand.
Der FDP-Abgeordnete Thomae bestätigt, dass der Ältestenrat, dem er selbst angehört, erst in diesem Frühjahr mit der Arbeit begonnen habe. Dann habe es gedauert, „technische Fragen“ zu lösen. Ein Beispiel, das er nennt, betrifft Abgeordnete, die auch als Unternehmer tätig sind: Einerseits müssen sie Vertragsverhältnisse offenlegen, andererseits sind sie gegenüber Geschäftspartnern zur Verschwiegenheit verpflichtet.
„Die Zuarbeit hat viel Zeit in Anspruch genommen“, sagt auch Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau. Die Linke will klären, ob damit nicht früher hätte begonnen werden können. „Es ist misslich, dass wir es noch nicht geschafft haben.“ Pau spricht sich dafür aus, unabhängig vom Klärungsbedarf in Einzelfällen zumindest die vorhandenen Daten „schnellstmöglich zu veröffentlichen“.
Welche Fragen bis dahin offenbleiben, zeigt eine Abfrage im Lobbyregister des Bundestages. Wer die Einträge dort durchforstet, stößt auf immerhin 37 Parlamentarier, die neben ihrem Mandat als Interessenvertreter für Verbände, Stiftungen und Vereine registriert sind. Sie lobbyieren für die Campingwirtschaft, die Bundesstiftung Umwelt, die deutsch-arabische Handelskammer, den Bund der Vertriebenen, den Kinderschutzbund, die Bioenergie-Industrie, das Technische Hilfswerk, für Wirtschaftsvereinigungen oder einen Verein mit engen Verknüpfungen zur Rüstungsindustrie. Als bezahlte Lobbyisten dürfen die Abgeordneten nicht mehr „nebenher“ arbeiten, auch das hatte der Bundestag im vergangenen Jahr entschieden. Umso interessanter wären also nähere Informationen über die Verbindungen zu den Lobbyverbänden – doch genau diese fehlen.
So hängt es derzeit an den einzelnen Abgeordneten, ihre Nebeneinkünfte offenzulegen. Einige tun dies sehr detailliert – wie der CDU-Bundestagsabgeordnete und frühere Berliner Justizsenator Thomas Heilmann. Auf seiner Internetseite listet er Ehrenämter und Unternehmensbeteiligungen auf. „Es gibt ein erhöhtes Transparenzbedürfnis in der Gesellschaft, das wir bedienen sollten“, sagt Heilmann. „Das sollte möglichst schnell gehen, weil es das Vertrauen der Menschen in Politik stärkt.“
Dieser Text erschien zuerst in der
Berliner Zeitung. Foto: Deutscher Bundestag/Thomas Trutschel, photothek
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