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Vitamine und Werbung

Martin Rücker

Schachern, Bluffen, Drohen

Als die Rufe nach einem Verbot der an Kinder gerichteten Werbung für ungesunde Lebensmittel laut wurden, reagierte Bundesernährungsministerin Klöckner mit einer neuen, freiwilligen Selbstbeschränkung. Interne Unterlagen aus ihrem Ministerium zeigen, wie selbst diese unverbindliche Vereinbarung der Werbebranche in monatelangen Verhandlungen abgerungen werden musste – und dass selbst das Ministerium Zweifel an ihrer Wirkung hat. 

21. August 2021

In getrennten Pressemitteilungen gaben Julia Klöckner und der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) im April 2021 zeitgleich eine „schärfere Regulierung für an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung“, wie es bei der Bundesernährungsministerin hieß. „Die Werbewirtschaft übernimmt Verantwortung“, betonte der ZAW: Vom 1. Juni an sei es „nicht mehr zulässig“, unausgewogenen Lebensmitteln mit positiven Ernährungseigenschaften zu bewerben, jedenfalls nicht an Unter-14-Jährige und in audiovisuellen Formaten. Kritiker wie Klaus Müller, Chef der Verbraucherzentralen, wertete die Neuerung dagegen als „durchsichtiges Täuschungsmanöver“. Der Grund: Es gibt eben keine verbindliche Werberegulierung, sondern „lediglich kosmetische Korrekturen“ an den bisherigen freiwilligen Verhaltensregeln der Branche, „die Kinder und Jugendliche weiterhin nicht wirksam schützen werden".


Den „Korrekturen“ sind monatelange, mühsame Verhandlungen zwischen Ministerium und Werbewirtschaft vorausgegangen. Wie sie abliefen, zeigen bisher unveröffentlichte Dokumente aus dem Ministerium: E-Mails, Gesprächsprotokolle, interne Vermerke, insgesamt 79 Seiten, übermittelt vom Ministerium auf einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Mit ihnen lässt sich das zähe Geschacher um die Werberegeln nachzeichnen, in dem sich die Branche mal kooperativ zeigte, mal versuchte, Klöckner zu drohen. Die Ministerin hingegen bluffte, zog schließlich abschreckende Beispiele von Nimm2, Milka, Kellogg’s und Ferrero aus dem Ärmel. Am Ende lobte sie ein Ergebnis, von dessen Effekt ihr Ministerium offenbar selbst nicht überzeugt ist – und das bereits jetzt unterlaufen wird.


„Wer keine Cola trinkt, ist uncool!“


Alles beginnt am 17. März 2020 mit einer informellen Telefonkonferenz zwischen Klöckners Fachabteilung und Katja Heintschel von Heinegg, Geschäftsführerin bei ZAW und Deutschem Werberat, der Selbstkontrolleinrichtung des Verbands. Die Ministerialbeamten kritisieren die „Defizite“ seiner bisherigen „Verhaltensregeln“. Klöckner steht rechtlich in der Pflicht: Eine neue EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste gibt den Mitgliedstaaten auf, die Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt „wirkungsvoll zu reduzieren“. Den bisherigen Verhaltenskodex des Werberates hält das Ministerium für unzureichend: Er rät lediglich dazu, einen Verzicht auf ungesunde Lebensmittel nicht abwertend darzustellen – darunter fielen, so erläutert die Fachabteilung in einem Vermerk, Werbesprüche wie der fiktive Claim: „Wer keine Cola trinkt, ist uncool!“ Erlauben würde der Verhaltenskodex dagegen Positivaussagen über Süßigkeiten wie „die ‚Extraportion Milch‘ in der Werbung für Kinderschokolade“. Genau das soll nach EU-Maßgaben künftig unterbunden sein. Der Werberat bezieht sich dagegen nur auf Unter-12-Jährige, das Ministerium will dagegen alle Kinder unter 14 Jahren schützen. Die Beamten loten aus, was möglich ist.


„Unternormative Lösung“ mit „quasi-offiziellem Anstrich“


Die Reaktion von ZAW-Geschäftsführerin Heintschel von Heinegg ist verhalten. Eine Änderung der gerade erst angepassten „Verhaltensregeln“ sei „kurzfristig nicht umsetzbar bzw. verbandsintern nicht durchsetzbar“, wird sie im Ministeriumsvermerk zitiert. Sie bietet stattdessen „eine ‚unternormative Lösung‘ Lösung“ mit „quasi-offiziellem Anstrich“ an: Die Wünsche des Ministeriums könnten in den Leitfaden zu den Verhaltensregeln aufgenommen und so in diese „hineininterpretiert“ werden – eine Art unverbindliche Interpretationshilfe zur unverbindlichen Selbstregulierung. Zudem habe der Verband eine „‘offiziöse‘ Absichtserklärung“ für eine spätere Änderung der Verhaltensregeln in Aussicht gestellt. Die Beamten sind kurz davor, klein beizugeben: Der Vorschlag des Branchenverbands sei „das im jetzigen Stand bestverhandelbare Ergebnis“, berichten sie an Klöckner.


Doch es baut sich politischer Druck auf. Seit langem fordern medizinische Fachgesellschaften und die Weltgesundheitsorganisation eine Beschränkung der an Kinder gerichteten Werbung für ungesunde Lebensmittel – und auch die Verbraucherzentralen. Sie legen eine Umfrage vor: 83 Prozent der Befragten sind dafür, dass nur noch ausgewogene Produkte gezielt an Kinder vermarktet werden dürfen. Auch das staatliche Robert-Koch-Institut geht mit der Empfehlung für eine stärkere Reglementierung an die Öffentlichkeit. Ins selbe Horn bläst im Sommer 2020 Klöckners Wissenschaftlicher Beirat, ein Beraterstab mit fast 20 angesehenen Wissenschaftlern. In einem umfangreichen Gutachten übt er auch noch deutliche Kritik an den bisherigen Verhaltensregeln der Werbebranche: Diese würden „offensichtlich sehr ‚zurückhaltend‘ umgesetzt, da kinderbezogene Zugaben (Plastikfiguren etc.) im Lebensmittelmarketing immer noch eingesetzt werden“. Zudem werde der Werberat fast nur im Falle einer Beschwerde tätig, „größere Effekte dieser Werberegelungen lassen sich nicht erkennen“. Eine Studie habe gezeigt, dass der Anteil der Werbespots für ungesunde Lebensmittel nach Einführung der bisherigen Selbstverpflichtung „sogar angestiegen ist“.


Im August 2020 treibt Klöckner das Thema intern voran. Ihre Beamten und ZAW-Geschäftsführerin sprechen ab, dass die Ministerin ein offizielles „Aufforderungsschreiben“ senden solle, damit der Verband gegenüber seinen Mitgliedern besser argumentieren kann. In ihrem Brief an ZAW-Präsident Andreas Schubert fordert Klöckner am 7. September „nachdrücklich“, Positiv-Aussagen für ungesunde Lebensmittel in den Verhaltensregeln auszuschließen. Schubert – ehemaliger Lebensmittelmanager (Bahlsen, Kühne) sowie Vorstand der Bundesvereinigung der Ernährungsindustrie – bittet um ein persönliches Gespräch, das für den 10. Dezember terminiert wird. Politisch nimmt die Dynamik derweil zu. Die britische Regierung kündigt ein Verbot von Junk-Food-Werbung Werbung für sogenanntes Junkfood in Fernsehen und Internet vor 21 Uhr an. In Deutschland sprechen sich SPD und Grüne öffentlich für Werbeverbote aus.


„Das wird völlig unnötig Widerstand auslösen“


Eine Woche vor dem Treffen meldet sich Hans-Henning Wiegmann bei Klöckner, früherer Chef der Oetker-Tochter Henkell und heute Vorsitzender des Werberates. In seinem Brief beschreibt er die Selbstregulierungspraxis als „vorbildhaft“ und warnt vor „weiteren Regulierungen und Gesetzen“. Die „Parteien der CDU und CSU (und der FDP) wussten wir stets an unserer Seite, weil Ihnen wie uns der Erhalt einer funktionsfähigen sozialen Marktwirtschaft am Herzen liegt“, betont der Ex-Manager. Er sendet eine kaum verhohlene Warnung an Klöckner: Die „Diskriminierung von Produkten“ und „die unbelegte Unterstellung von Wirkzusammenhängen zwischen Werbung und Gesundheit“ sei „nicht akzeptabel“, ebenso wie „Eingriffe in die freie und unzensierte Werbung über den bestehenden Rechtsrahmen hinaus“, schon gar nicht „aus wahlkampftaktischen oder populistischen“ Motiven: „Das passt weder zu unserer Wirtschaftsordnung, noch zu Ihnen ganz persönlich und Ihrer Partei und wird bei Wirtschaft und in Ihren Reihen völlig unnötig Widerstand auslösen.“ Er bitte daher, den „den bisher unstreitigen Grundduktus von Wirtschaft und CDU/CSU“ nicht durch „eine weitere Verbotspolitik zu gefährden“.


15 Prozent der Kinder in Deutschland gelten als übergewichtig, sechs Prozent als fettleibig. Dass ungesunde Ernährung und Werbung ihren Anteil haben, ist wissenschaftlich weitgehend Konsens. In seinem Gutachten listet Klöckners Beirat die Hintergründe minutiös auf: Lebensmittelhersteller können mit Süßwaren oder Softdrinks mindestens drei Mal so hohe Gewinnmargen erzielen als mit Obst und Gemüse.[20] Sie haben also ein ökonomisches Interesse daran, vor allem diese Produkte zu verkaufen – und durch die Margen auch die Werbeetats, weshalb „erheblich mehr Werbung für ungesunde Lebensmittel […] als für gesundheitsfördernde“ geschaltet werde, so der Wissenschaftliche Beirat des Ernährungsministeriums. Die Wirkung der Werbung werde „deutlich“ unterschätzt. „Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass an Kinder gerichtete Werbung für Speisen und Getränke ihre Kalorienaufnahme erhöht und mit einer Zunahme von krankhaftem Übergewicht verbunden ist“, sagt auch der Kinderarzt Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit sowie der Ernährungskommission der Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, auf Anfrage.


Am 10. Dezember 2020 kommt es per Videokonferenz zum Gipfeltreffen von Klöckner mit ZAW-Präsident Schubert, Hauptgeschäftsführer Bernd Nauen und Geschäftsführerin Heintschel von Heinegg. Klöckners Fachleute rechnen im Vorfeld nicht damit, dass der ZAW „ausreichende“ Vorschläge vorlegen wird: „Möglicherweise versucht der Werberat, die Zeit bis zum nächsten Koa[-litions]-Vertrag weitgehend ohne Änderungen zu überbrücken.“ Als „Blockierer“ stuft das Ministerium zu diesem Zeitpunkt auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ein, die ihrerseits ZAW-Mitglieder sind – der Verband dagegen wird betonen, dass diese „nicht die ‚Problembären‘“ seien. Im Vorschlag für die Gesprächsführung bei dem Treffen rät die Fachabteilung der Ministerin zu einer Drohung, nämlich „staatliche Regulierung näher in Betracht ziehen zu müssen“. Eine Karte, die Klöckner jedoch ausweislich von Gesprächsprotokollen und Schriftverkehr nicht zieht. In der Videokonferenz belässt sie es laut Protokoll beim Verweis darauf, „dass Parteien gerade an ihren Wahlprogrammen schreiben“.


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    Widerstände aus der eigenen Partei: Ein Werbeverbot stand wohl nie ernsthaft zur Debatte

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    Bisheriger Kodex reicht nicht: Das Ministerium kritisierte konkrete Werbespots

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    Der Werbeverband versuchte es offenbar mit dem Vorschlag einer noch unverbindlicheren Regelung

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    Auch kaum verhohlene Drohbriefe erreichten die Ministerin

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    Stoff für Diskussionen: Die Dokumente zeigen, dass das Ministerium selbst wohl Zweifel am Erfolg der freiwilligen Beschränkung hegt

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    "Gute Arbeit", bescheinigte Ministerin Klöckner ihren Leuten dennoch in grüner Tinte

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„Gewichtige Teile der CDU/CSU“ gegen Werbeverbote


Eine staatliche Regulierung zieht sie offenbar nicht ernsthaft in Betracht – dabei hatte sie von ihren Wissenschaftlichen Beratern genügend Munition dafür erhalten. In ihrem Sommer-Gutachten zitieren die Professoren auch eine Studie zu den Wirkungen unterschiedlicher Werbebeschränkungen für ungesunde Lebensmittel. Demnach kam es in Ländern ohne Werbebeschränkung zu einer Zunahme des Junk-Food-Konsums zwischen 2002 und 2016 um knapp 14 Prozent, während in Ländern mit Beschränkung der Konsum zurückging. Im Durchschnitt um 9 Prozent, allerdings nur dort, wo die Beschränkungen verpflichtend waren. In Staaten mit freiwilligen Werbebeschränkungen lag der Junk-Food-Verzehr 2016 um knapp 2 Prozent höher als 14 Jahre zuvor. Im „Hintergrundvermerk“ für die Ministerin heißt es, der Lebensmittelverband Deutschland, der Verband der Süßwarenindustrie und die Wirtschaftsvereinigung Zucker hielten staatliche Werbeverbote für „nicht geeignet“, auch die FDP-Fraktion sowie „gewichtige Teile der CDU/CSU-Fraktion“ seien gegen gesetzliche Beschränkungen.


Klöckner argumentiert stattdessen, dass die europarechtliche Frist für die Umsetzung der EU-Richtlinie verstrichen ist, die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland bereits eröffnet hat. Offenbar will die Ministerin den Eindruck erwecken, ihr Handlungsspielraum sei begrenzt – ein Bluff, wie ein „Hintergrundvermerk“ ihres Fachreferats zur Gesprächsvorbereitung nahelegt. Darin heißt es: „Die Verschärfung der Verhaltensregeln ist jedoch voraussichtlich nicht für die Meldung der vollständigen Umsetzung [der EU-Richtlinie; Anm. der Redaktion] zwingend erforderlich.“ Der ZAW bezeichnet seine Verhaltensregeln als „bereits umfassend und ausreichend“, besonders problematische Werbung gebe es nicht mehr – so ist es im Protokoll des Ministeriums vermerkt. Dennoch gibt sich der Verband „kompromissbereit“, will die strittige Altersdefinition für Kinder anpassen. Alles Weitere solle auf Fachebene weiter diskutiert werden. Ein echtes Ergebnis gibt es nicht.


Die Ministerialen erhöhen deshalb den Druck. Per Mail schickt eine Beamtin dem ZAW wenige Tage nach der Videokonferenz Links zu Werbe-Videos, die man im Ministerium „kritisch“ sehe – es sind Spots von Storck (Nimm 2 Lachgummis, u.a. „Vitamine und Naschen“), Ferrero (Kinderriegel mit der Darstellung einer Frau in Gestalt eines laufenden Milchglases), Milka („die gute Alpenmilch“) und Kellogg’s Frosties, „mit viel gutem Mais, die dich startklar für den Tag machen“ – die aber auch „knapp 37 % Zucker“ enthielten, wie das Ministerium betont. Bereits am 18. Dezember kommt es zur nächsten Verhandlungsrunde – und zum nächsten Streitpunkt. Einerseits lenkt der ZAW ein, will die Kommunikation positiver Eigenschaften bei ungesunden Lebensmitteln „im Umfeld von Kindersendungen“ künftig ausschließen. Doch das reicht dem Ministerium nicht, weil Formate wie „Germany’s next Topmodel“ trotz jungen Publikums per Definition keine „Kindersendung“ sind. Vereinbart wird ein weiteres Gespräch im Januar über diesen „Dissens“. Nach diesem legt der ZAW am 18. Januar 2021 einen vertraulichen Entwurf für überarbeitete Verhaltensregeln vor.


Im Ministerium stößt er auf geteiltes Echo: Mit dem Ausschluss von Werbung für ungesunde Lebensmittel zeigen sich die Beamten zufrieden, weil es nun alle „audiovisuelle“ Formen umfasst, nicht nur Kindersendungen, und damit über die EU-Vorgaben hinausgeht. Über die Altersgrenze wird jedoch weiter gefeilscht. Der neue Entwurf hebt sie zwar von unter 12 auf unter 14 an – hier jedoch nur für Kindersendungen. Für andere Werbeumfelder griffen die Verhaltensregeln weiterhin erst für Unter-14-Jährige.


„Gute Arbeit“


Den Durchbruch bringt schließlich ein abendliches Gespräch zwischen ZAW-Hauptgeschäftsführer Nauen und dem Ministerium im Februar, nach fast einem Jahr zäher Verhandlungen. Der ZAW habe sich „einsichtig gezeigt“, berichtet Klöckners Referatsleiterin an die Ministerin. Einen Tag nach diesem letzten Gespräch sendet der Verband dem Ministerium einen neuen „vertraulichen Entwurf“, der die Kritik ausräumt: Kinder sind jetzt immer alle Unter-14-Jährigen, und der Kodex empfiehlt den Verzicht auf die Hervorhebung „positive[r] Ernährungseigenschaften von Lebensmitteln, die Nährstoffe oder Substanzen mit ernährungsbezogener oder physiologischer Wirkung enthalten, deren übermäßige Aufnahme im Rahmen einer ausgewogenen Gesamternährung nicht empfohlen wird“ in audiovisueller Werbung, die sich gezielt an Kinder richtet. So wird es im April schließlich der Öffentlichkeit präsentiert. „Gute Arbeit“, notiert Klöckner handschriftlich auf dem Bericht ihrer Referatsleiterin, „die Hartnäckigkeit des BMEL hat sich gelohnt im ersten Schritt“.


Tatsächlich gehen auch die Unzulänglichkeiten des Erreichten in den Ministeriumsunterlagen festgehalten: Für welche Lebensmittel sich die Beschränkung bezieht, ist nirgendwo festgehalten, auf Nährwertkriterien wird kein Bezug genommen, wann sich seine Werbung „gezielt“ an Kinder richtet, ist ebenfalls nicht klar definiert. Jenseits audiovisueller Formate bleibt Kinder-Werbung erlaubt, etwa durch die Verpackungsgestaltung. Und die „Verhaltensregeln“ bleiben freiwillig. Das Ministerium bewertet sie zwar für als „substantielle Verbesserung“, hegt aber offenkundig selbst Zweifel am Effekt: „In der Tat wird die Wirksamkeit der überarbeiteten Regeln von ihrer praktischen Anwendung durch den Werberat und seine Mitglieder abhängen“, vermerkt die Referatsleiterin. Klöckner solle die Branche deshalb „auffordern, die neuen Maßstäbe konsequent durchzusetzen, um einen ausreichenden Schutz von Kindern zu gewährleisten.“ Die Einzelfallbewertungen, auf dies es ankomme, würden jedenfalls „Stoff für Diskussionen liefern.“


Dafür ist gesorgt. Im März veröffentlichte der AOK Bundesverband eine Studie der Uni Hamburg, der zufolge mediennutzende Kinder jeden Tag im Durschnitt 15 Werbespots für (nach WHO-Kriterien) „ungesunde Lebensmittel“ sehen. Fast neun von zehn Lebensmittelwerbespots promoteten ungesunde Produkte. Dazu dürfte auch der Ferrero-Kinderriegel gehören. Denn der von Klöckners Ministerium kritisierte Spot mit der „Milchfrau“ war Mitte August weiterhin prominent auf der Ferrero-Produktwebsite zu sehen – zweieinhalb Monate nach Inkrafttreten der neuen Verhaltensregeln.


Diese Recherche erschien zuerst bei Ippen Investigativ u.a. in der Frankfurter Rundschau.

Bildnachweis: AdobeStock (Löffel mit Zucker).

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