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Außer Kontrolle

Martin Rücker

Sicherheitsrisiko LEbensmittelkontrolle

Wegen Personalmangels in den Bezirken fallen in Berlin die meisten Hygieneprüfungen in Lebensmittelbetrieben aus. Verbraucherschützer sind alarmiert. 

15. Januar 2024

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Wie oft die Sauberkeit von Bäckereien, Restaurants oder Imbissbuden amtlich geprüft werden muss, legt in Deutschland eine Verwaltungsvorschrift fest. Die Berliner Bezirksämter, die für die Lebensmittelkontrollen verantwortlich sind, müssen sich daran halten. Tatsächlich sind sie davon jedoch weit entfernt: Die meisten amtlichen Hygieneprüfungen im laufenden Jahr fallen aus, weil das nötige Personal fehlt. Die Bezirke schlagen wegen der permanenten Unterbesetzung Alarm, Verbraucherschützer und Lebensmittelkontrolleure warnen vor den Folgen für die Lebensmittelsicherheit.


Am wenigsten schlecht sieht es wohl noch in Marzahn-Hellersdorf aus. Im ersten Halbjahr 2023 hatte der Bezirk 641 der 1.828 für 2023 sogenannten Plankontrollen in Lebensmittelbetrieben geschafft, auch im Vorjahr erfüllte das Amt zumindest mehr als die Hälfte des vorgeschriebenen Solls. Das gilt auch für die Kontrolleure in Reinickendorf. 778 der eigentlich anstehenden 1.311 Routinekontrollen konnten sie im ersten Halbjahr erledigen, knapp 60 Prozent. Die Zahlen bedeuten jedoch auch in diesen beiden Bezirken Ein wesentlicher Teil der Kontrollen fällt aus.


Verbraucherschutzbehörden verstoßen gegen Vorgaben zum Verbraucherschutz: In Berlin ist das ein systematisches Problem. Andere Bezirke meldeten auf Anfrage der Berliner Zeitung deutlich niedrigere Werte. Tempelhof-Schöneberg schaffte im ersten Halbjahr 2023 weniger als 40 Prozent der vorgeschriebenen Kontrollbesuche. Dabei treffen die Lücken durchaus auch Bereiche, die Verbraucher wohl als sensibel betrachten würden: In den Kantinen von Kitas, Schulen, Pflegeheimen und Krankenhäusern absolvierten die Lebensmittelkontrolleure des Bezirks nur jede zehnte planmäßige Hygieneprüfung.


Friedrichshain-Kreuzberg schafft nur sechs Prozent der Pflicht-Kontrollen


Steglitz-Zehlendorf meldete eine Erfüllungsquote von rund 35 Prozent im ersten Halbjahr. Wesentlicher Grund dafür laut Bezirksstadtrat Urban Aykal: „der akute Personalmangel“. Besonders zugespitzt ist die Lage in Friedrichshain-Kreuzberg, der nach eigenen Angaben nur rund sechs Prozent der vorgeschriebenen Kontrollen erledigt. Die Ursache nach Angaben des Bezirks auch hier: die „personelle Unterausstattung“. Nur 30 Prozent des benötigten Personals stehe zur Verfügung. Die rechtlichen Vorgaben kann das Veterinäramt damit nicht erfüllen. 


Die Bezirke Charlottenburg-Wilmersdorf, Mitte, Lichtenberg, Treptow-Köpenick und Neukölln verweigerten genauere Angaben, bestätigten in der Regel jedoch, dass es auch bei ihnen Kontrollrückstände gibt. Pankow war ebenfalls nicht zu einer aktuellen Auskunft bereit – allerdings hatte der Bezirk gegenüber dem Abgeordnetenhaus im März dieses Jahres noch angegeben, nur ein Viertel der vorgeschriebenen Routinekontrollen erledigen zu können. Der Bezirk Spandau meldete sich trotz presserechtlicher Verpflichtungen auf eine Anfrage nicht zurück – von Eingangsbestätigungen abgesehen. Einer früheren Angabe zufolge erfüllte der Bezirk zuletzt zwischen 20 und 36 Prozent der Kontrollvorgaben. Berlinweit ist also davon auszugehen, dass weniger als die Hälfte der Hygieneprüfungen stattfinden, zu denen die Ämter laut Vorschrift verpflichtet sind.


„Im Sinne des gesundheitlichen Verbraucherschutzes ist es nicht hinnehmbar, wenn vorgeschriebene Kontrollen in hohem Maße entfallen“, kritisiert Dörte Elß, Vorständin der Verbraucherzentrale Berlin. Sie warnte davor, dass Missstände in den Betrieben durch die Kontrolllücken womöglich „lange unentdeckt“ blieben – beispielsweise Hygienemängel, durch die keimbelastete Lebensmittel in den Umlauf gelangen. „Das kann je nach Vorfall sogar schwerwiegende, mitunter lebensbedrohliche Auswirkungen für Verbraucher*innen haben“, so Elß. Nur wenn die Behörden ihre Kontrollvorgaben einhielten könnten die Menschen „effektiv vor Gesundheitsgefahren geschützt werden“.


Neben den „Plankontrollen“ führen die Ämter auch anlassbezogene Prüfungen in den Unternehmen durch – etwa dann, wenn sie von Verbrauchern oder Mitarbeitern Hinweise auf Hygienemängel erhalten. Doch gerade die anlasslosen Routinebesuche sollen dazu beitragen, dass Lebensmittelbetriebe regelmäßig mit Kontrollen rechnen müssen – und dass die Ämter auf jene Unternehmer aufmerksam werden, die es mit dem Hygienemanagement nicht so genau nehmen.


Kontrollvorgaben für die Ämter wurden reduziert – und werden trotzdem nicht erfüllt


In welchen Abständen ein Betrieb kontrolliert werden muss, hängt einerseits von der Betriebsart ab, und andererseits davon, wie in der Vergangenheit bei den Kontrollen abschnitt. So wird eine Wurstfabrik deutlich häufiger kontrolliert als ein Kiosk, der nur verpackte Lebensmittel handelt – und ein Gastronom, der wegen schlechter Hygiene bereits mehrfach negativ aufgefallen war, muss ebenfalls in engeren Abständen mit einer Prüfung rechnen als ein Restaurant, das die Kontrolleure als Vorzeigebetrieb kennengelernt haben. All diese Faktoren berücksichtigen die Ämter bei der so genannten Risikobewertung des Betriebes. Von der Einstufung in eine „Risikogruppe“ hängt dann ab, ob ein Unternehmen alle paar Wochen oder nur einmal in drei Jahren zu überprüfen ist.


Anfang 2021 hatte sich dieses Verfahren durch eine Novellierung der bundesweiten Verwaltungsvorschrift verändert. Die Bezirksämter – auch diejenigen, die die Auskunft verweigerten – verweisen darauf, dass die Statistiken deshalb nicht vollständig belastbar sind: Es sei noch nicht für jeden Betrieb eine Risikobewertung nach dem neuen System gemacht worden. Doch selbst wenn es dadurch zu Unschärfen kommt: Dass ein Großteil der vorgeschriebenen Kontrollen in Berlin ausfällt, bestreitet niemand. Was umso bemerkenswerter ist, als dass die neue Vorschrift die Zahl der vorgeschriebenen Kontrollen sogar reduziert hat. Die Berliner Bezirke liegen dennoch weit unter ihrem Soll.


Forderungen nach besserer Bezahlung für Kontrolleure


Nach Einschätzung von Jana Weiser, Vorsitzende des Landesverbandes der Lebensmittelkontrolleure Berlin- Brandenburg, müssten alle Ämter Zahlen zu Soll und Ist der vorgeschriebenen Kontrollen vorlegen können. Die Verwaltungsvorschrift verpflichtet sie zu den Betriebsprüfungen – und so müssen die Ämter auch auswerten, inwieweit sie die Vorgaben einhalten. Auch Weiser kritisiert mögliche Folgen der Rückstände: Die Überwachung der Lebensmittelsicherheit könne nicht gewährleistet werden, wenn es am Personal fehle. Dass Friedrichshain-Kreuzberg lediglich sechs Prozent der vorgeschriebenen Betriebskontrollen durchführe, sei „ganz schön drastisch“.


Doch wie genau kommt es zu dem Missstand? Die Ämter beantworten das weitgehend einheitlich. Ein Sprecher des Bezirks Tempelhof-Schöneberg erklärt, dass die Lebensmittelkontrolleure mit einer wachsenden Zahl an Verwaltungsaufgaben konfrontiert seien. Zudem sei die „Klagefreudigkeit“ der Unternehmen gestiegen, was ebenfalls Personal bindet, das für Betriebskontrollen fehlt. Als Hauptgrund führen die Bezirke jedoch den eklatanten Personalmangel an. „Einerseits zu wenig Stellen im Stellenplan, andererseits schwierige Rekrutierung“, wie der Sprecher von Tempelhof-Schöneberg ausführt. Mit anderen Worten: Die Bezirke haben einerseits nicht genügend Stellen eingeplant, um ihre Pflichten erfüllen zu können. Andererseits gelingt es ihnen aber noch nicht einmal, die vorhandenen Stellen zu besetzen.


Auf dem Arbeitsmarkt fehle es an Fachkräften, heißt es aus mehreren Bezirken – weshalb die Ämter ihre Kontrolleure selbst auszubilden versuchen. Doch auch dies gestaltet sich schwierig. Denn bevor angehende Lebensmittelkontrolleure ihre zweijährige Ausbildung in der Behörde absolvieren dürfen, müssen sie mindestens einen Meister oder Techniker-Abschluss vorweisen. Dennoch bekommen sie in den Ausbildungsjahren nur rund 1000 Euro im Monat. Eine Einstufung in den besser bezahlten gehobenen Dienst bleibt ihnen verwehrt, auch der Tarif für das nicht verbeamtete Kontrollpersonal ist niedrig – die Bezahlung bleibt also schlecht.


Verband: Kein Bundesland bezahlt Kontrolleure so schlecht wie Berlin


„Berlin ist bundesweit das Schlusslicht“, sagt Verbandschefin Weiser. „In keinem Bundesland werden Lebensmittelkontrolleure so schlecht bezahlt. Nicht umsonst flüchten Kontrolleure in besser zahlende Bundesländer.“

Die Bezirke bestätigen, dass viele Kontrolleure nach der Ausbildung in andere Bundesländer abwanderten. Zudem gebe es eine „Konkurrenzsituation“ auch mit der privaten Wirtschaft sowie mit Bundes- und Senatseinrichtungen, erklärt eine Sprecherin des Bezirks Pankow.


„Ich habe mich schon mehrfach gegenüber dem Senat dafür eingesetzt, dass die Stellenprofile der Lebensmittelkontrolleur*innen höher bewertet werden und so vom Mittleren in den Gehobenen Dienst eingruppiert werden“, sagt Mitte-Bezirksstadträtin Almut Neumann. Dies sei eine „wesentliche Voraussetzung“ dafür, um die offenen Stellen besetzen zu können. Die Bemühungen der Bezirke, das Kontrollpersonal besser zu bezahlen, sei aber „durch die Senatsfinanzverwaltung blockiert“ worden, bemängelt Annika Gerold, Bezirksstadträtin von Friedrichshain-Kreuzberg. „Hierdurch wird mit direkter Wirkung verhindert, dass die Erfüllung des gesetzlichen Auftrages zum Schutze der Gesundheit der Bevölkerung in einer angemessenen Form erfolgen kann.“


Verbraucherschützerin Elß unterstützt die Forderungen nach einer neuen Eingruppierung für Kontrolleure. Bezirke und Senatsverwaltung sollten „ein Stellenbewertungsverfahren initiieren“ und sicherstellen, dass Kontrollpersonal nicht schlechter bezahlt werde als in anderen Bundesländern, fordert sie. 



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Der Text erschien zuerst in der Berliner Zeitung.

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